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Karikaturen zum NSA-Skandal: Die große Dechiffrier-Schau

Die drei Karikaturisten Klaus Stuttmann, Til Mette und Nel machen greifbar, was eigentlich zu groß ist, um sich zu erregen: den NSA-Skandal.

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Seit drei Tagen weder Handy noch Mailprogramm benutzt – da stimmt doch etwas nicht, das ist doch nicht normal! Grund genug für zwei Geheimdienstmitarbeiter, mal an die Wohnungstür zu klopfen und zu fragen, ob man da nicht etwas zu verbergen hat. So zeigt es zumindest eine Karikatur des Künstlers Nel, vorwurfsvoll halten die beiden Männer mit den grauen Mänteln dem verdutzten Jedermann den Ausweis vor die Nase. Und so schafft die kleine Zeichnung, was all die Artikel, die im vergangenen Jahr zum NSA-Skandal geschrieben wurden, nur bedingt leisten konnten: Sie macht das Ausmaß der Überwachung sichtbar.

Denn eigentlich ist der Skandal so groß, dass er sich kaum noch fassen lässt. Rational schon nicht und emotional erst recht nicht. Wir werden alle überwacht. 13 Monate ist es jetzt her, dass der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden die Abhörpraktiken und die schier unendlichen Datenspeicherkapazitäten der NSA enthüllte. Doch der große Aufschrei ist ausgeblieben. Politiker verharrten bisher in diplomatischer Schockstarre – und was soll der Einzelne schon tun? Viele fragen sich eher: Was hat das alles denn bitte mit dem eigenen Leben zu tun?

Die Antwort ist: ziemlich viel. Und damit ist die Unfassbarkeit der ganzen Sache auch ein Gewinn – zumindest für die Karikaturisten. Die sind es schließlich gewohnt, das große Weltgeschehen auf seine Essenz, auf den Alltag, herunterzubrechen. Drei von ihnen, neben Nel auch Til Mette und Tagesspiegel-Zeichner Klaus Stuttmann, haben die Enthüllungen geradezu beflügelt, ein Teil ihrer Arbeiten ist jetzt unter dem Titel „Ins Netz gegangen“ in der Landeszentrale für politische Bildung zu sehen.

Fast das gesamte Erdgeschoss füllen ihre Arbeiten, klug ergänzt durch kürzere Texte, die den Ablauf der Ereignisse genauso knapp und auf den Punkt zusammenfassen wie die wichtigsten technischen Begriffe, mit denen neuerdings alle um sich schmeißen. „Ohne sich schämen zu müssen kann man hier kurz nachlesen, was denn nun ein Tor-Netzwerk ist, was eine Cryptoparty und was mit Tempora gemeint ist“, sagt Martina Schellhorn, die die Ausstellung kuratiert hat.

Neben diesen eher sachlichen Informationen schaffen die Bilder den zweifachen Sprung aller guten Karikaturen: Erst einen Schritt zurücktreten, das Ganze aus der Entfernung in seiner gesamten Absurdität wahrnehmen, und dessen Tragweiten dann bis in die kleinsten Verästelungen zurückdenken. Manchmal hilft es, die Dinge beim Wort zu nehmen. Bei Nel, der mit bürgerlichem Namen Ioan Cozacu heißt, sitzen dann etwa fünf Spionage-Mächte, neben den USA und Großbritannien auch Australien, Kanada und Neuseeland, auf je einer Wolke und angeln. Statt mit Würmern ködern sie mit Augen und Ohren. „Die Angelsachsen“, heißt das Bild.

Zugegeben, das hat mit den alltäglichen Auswirkungen der Totalüberwachung noch wenig zu tun, die Zeichnung ein paar Meter weiter dafür umso mehr: „Dieses Gespräch wurde abgehört und ist für Sie kostenlos“, dringt es da aus einem Telefonhörer. Der Mann an der Strippe ist begeistert – „geil!“. Simpler geht es kaum, trotzdem wird klar, wie komplex die Lage ist: Weil keiner für Dienste im Netz Geld ausgeben möchte, kassieren die Anbieter, wie etwa Facebook, Google oder Amazon, eben unsere Daten. Was sie damit machen, bleibt ihre Sache.

Die Sache der Bürger bleibt es hingegen, sich zu schützen. Sowohl Stuttmann als auch Nel haben für das Problem der Verschlüsselung dieselbe Idee entwickelt und doch ganz unterschiedlich umgesetzt. Bei Stuttmann sind es zwei Indianer, die fürchten, die NSA könnte ihre Rauchzeichen mitlesen. Die durch gezieltes Wedeln zu zertrümmern, also zu verschlüsseln, ist natürlich ein so einfaches wie schönes Bild. Bei Nel stehen zündelnde Geschäftsmänner in Anzügen auf Hochhausdächern, ein paar Beamte lenken mit Fähnchen den Datenverkehr.

„Wir machen es denen auch zu leicht, uns zu kontrollieren“, sagt auch Martina Schellhorn. Weil wir bequem sind. Diese feine Kritik lässt sich vor allem aus Nels stark reduzierten Figuren und Szenen herauslesen. Der 1953 in Rumänien geborene Künstler studierte in Halle, arbeitet heute für die taz, Cicero, Eulenspiegel und Spiegel Online. Politischer Karikaturist wurde er allerdings erst seit dem Mauerfall. „Vorher hatte er keine Lust, sich der Zensur auszusetzen“, sagt Schellhorn. Er kann auch vom Wandel der Überwachung erzählen: „Briefe sind keine Mails! Hinterher muss man sie wieder zusammenkleben!“, erklärt in einer seiner Zeichnungen ein Geheimdienstler den Kollegen. Der Untertitel: „Offenes Geheimnis: Altes Handwerk geht verloren.“

Bei Stuttmann, dem 1949 geborenen Schwaben, der heute vor allem für den Tagesspiegel zeichnet, spürt man eher die Wut, einen oft beißenden Spott. Diese Wucht trieft bei ihm schon mal aus den Zügen seiner Figuren. Etwa wenn Angela Merkel, verquollen und mit pastoraler Geste, ihren Mitarbeitern erklärt, Snowden sei als Zeuge in Deutschland willkommen: „Sobald er sicher auf dem Flughafen BER gelandet ist, kann er Asyl beantragen.“

Das direkt Politische ist Til Mette hingegen fern. Der 1956 in Bielefeld geborene Cartoonist hat viel mehr ein Faible für die kleinen Alltagsgeschichten. Obwohl, und das weiß der Mitbegründer der taz Bremen wohl ganz genau, das Private immer auch politisch ist. Zeichnerisch ist er neben den anderen beiden eher blass, die kleinen Sätze, die er seinen Figuren in den Mund legt, haben es aber in sich: Dieses Paar am Strand etwa, das gerade Zeuge einer Schiffskatastrophe wird. Er fotografiert, sie schlägt vor: „Poste es auf Facebook und gründe eine support-group.“ Der NSA würde das vermutlich gefallen.

„Ins Netz gegangen. (Un)heimlich lustige Karikaturen von Til Mette, Nel und Klaus Stuttmann“ ist noch bis zum 15. Oktober in der Landeszentrale für politische Bildung, Heinrich-Mann-Allee 107, zu sehen. Geöffnet ist montags bis mittwochs von 9 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 9 bis 15 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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