
© Marco Borggreve/promo
ZUR PERSON: „Die Kammerakademie ist ein Juwel“
Das Orchester könnte noch viel mehr Repräsentant der Potsdamer Kulturszene sein.“ Gespräch mit Michael Sanderling, scheidender Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam „Musiker, die da zusammen- saßen, weil sie zusammen Musik machen wollten.“
Stand:
Herr Sanderling, mit Abschluss der diesjährigen Spielzeit beenden Sie Ihr Engagement bei der Kammerakademie Potsdam als Chefdirigent und künstlerischer Leiter und übergeben Ihr „Mandat“ an Antonello Manacorda. Warum verlassen Sie ein durchaus erfolgreiches Orchester wie die Kammerakademie?
Ich will mich als Dirigent noch mehr als bisher auf Engagements bei anderen Orchestern konzentrieren, weil sich hier in den vergangenen Jahren die entsprechenden Anfragen angehäuft haben.
Sie suchen also neue künstlerische Herausforderungen?
Auch. Aber das ist nur ein Grund. Ich hatte mich schon sehr frühzeitig dafür entschieden, dass ich meinen Dreijahresvertrag mit der Kammerakademie nur um ein Jahr verlängere. Denn ich sehe meine Verantwortung als künstlerischer Leiter und Chefdirigent auch darin, dass das kammersymphonische Repertoire der Kammerakademie, das ich mit entwickelt habe, eine neue Handschrift bekommt. Denn nur so kann sich ein Orchester entwickeln.
Sie werden im kommenden Jahr an der Kölner Oper Sergej Prokoffjews „Krieg und Frieden“ dirigieren. Dort ist der ehemalige Potsdamer Theaterintendant Uwe Eric Laufenberg mittlerweile künstlerischer Leiter. Alte Potsdamer Verbindungen?
Ja, das hat sicher auch damit zu tun, dass wir uns hier in Potsdam kennengelernt und zusammengearbeitet haben. Aber das ist nur eines von vielen interessanten Projekten. So werde ich unter anderen mit den Dresdener Philharmonikern, dem Orquesta Sinfonica de Galicia und dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra aus Tokio zusammenarbeiten.
Sie werden in der kommenden Spielzeit aber auch als Gastdirigent mit der Kammerakademie auftreten?
Ja, aber nicht in Potsdam. Darauf habe ich Wert gelegt. Denn ich finde es auch für das Orchester sehr wichtig, dass ich nicht in der ersten Saison eines neuen Nachfolgers ausgerechnet hier präsent bin. So werden wir zusammen eine Tournee in die Schweiz machen und zusammen den Emanuel-Feuermann-Wettbewerb für Violoncello im November in Berlin begleiten.
Sie haben schon das kammersymphonische Repertoire der Kammerakademie angesprochen. Wie haben Sie dies in Ihrer Zeit als Chefdirigent und künstlerischer Leiter weiterentwickelt?
Ich habe mich vier Jahre lang sehr intensiv der Kammerakademie gewidmet, dabei viel versucht und sehr viel erreicht. Wir haben in der Kürze der Zeit ein sehr wesentliches Repertoire gemeinsam erspielt. Dazu gehören alle Sinfonien von Beethoven und ein großer Teil von Schubert und von Haydn.
Was Sie als Chefdirigent gemacht haben, hat jeder Besucher der Konzerte der Kammerakademie sehen und hören können. Worin aber bestanden neben der Weiterentwicklung des Repertoires vor allem Ihre Aufgaben als künstlerischer Leiter?
In enger Zusammenarbeit mit dem Büro der Kammerakadmie habe wir vor allem daran gearbeitet, dass auch außerhalb der reinen Bühnenpräsenz die Kammerakademie weiterhin auf dem Erfolgsweg bleibt.
Was gab für Sie den entscheidenden Ausschlag, Chefdirigent und künstlerischer Leiter der Kammerakademie Potsdam zu werden?
Meine erste Begegnung mit der Kammerakademie war ein Konzert in Berlin, wo ich noch als Musiker für den Cellisten Boris Pergamenschikow eingesprungen bin. Und mir war sofort klar, dass ich es hier mit Musikern zu tun hatte, die da zusammensaßen, weil sie zusammen Musik machen wollten. Damals war die Kammerakademie noch ohne eigenen Chefdirigenten und obwohl jeder Musiker mit seinem Engagement dazu beigetragen hat, dass sich das Repertoire des Ensembles weiterentwickelt, gab es eine natürliche Grenze. Die wollte ich überschreiten und habe dafür alles vorgefunden, was ich brauchte.
Wie fällt Ihr Resümee nach vier Jahren mit der Kammerakademie Potsdam aus?
Wir können mit Stolz zurückblicken und sagen, dass wir sowohl hier in Potsdam als auch überregional gezeigt haben, dass in der Kammerakademie unglaublich viel Potenzial steckt und dass dieses relativ junge Orchester schon nach den ersten zehn Jahren seines Bestehens eine große Qualität in der Interpretation und dem Zusammenspiel erreichen kann. Überall wo wir hinkommen und auftreten, wird gerade das gelobt.
Und mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie zu kämpfen?
Eine Grundschwierigkeit bleibt natürlich die in meinen Augen zu schlechten Arbeitsbedingungen der Musiker. Das sind auf der einen Seite natürlich materielle und finanzielle Dinge. Und da zeigt sich immer wieder, dass bei den Musikern die Liebe zur Kammerakademie mittlerweile sehr groß sein muss, weil sie nicht zu anderen Orchestern abwandern. Aber die Gefahr besteht immer. Dann würde ich mir wünschen, dass die Kammerakademie noch viel mehr als Hausorchester des Nikolaisaals verstanden wird. Das ist jetzt keine Kritik, sondern ein ganz persönlicher Wunsch. Denn so hätte die Kammerakademie viel öfter die Möglichkeit, im Saal zu sein und müsste keine Rücksicht mehr nehmen auf Probenzeiten andere Ensembles.
Sie vermissen also auf bestimmten Entscheidungsebenen das Verständnis für den Stellenwert der Kammerakademie vor allem auch für Potsdam?
Vielleicht fehlt nicht das Verständnis aber man hat dort wohl zu wenig Perspektive im Denken, was mit diesem Orchester noch alles möglich wäre. Ich will nicht behaupten, dass die Kammerakademie keine Unterstützung hat. Das wäre vermessen. Aber das Orchester könnte noch viel mehr Repräsentant der Potsdamer Kulturszene sein, wenn es denn die Chancen hätte, die immer mit einer gewissen finanziellen Grundlage verbunden sind. Denn die Kammerakademie ist ein Juwel für diese Stadt.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Michael Sanderling, geb. 1967 in Berlin, ist Dirigent und Cellist.
Sanderling entstammt einer bedeutenden Musikerfamilie und ist jüngster Sohn des Dirigenten Kurt Sanderling. Er studierte Violoncello an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. 1987 gewann er den 1. Preis beim Canals-Wettbewerb in Barcelona und war von 1988-1992 Solocellist im Gewandhausorchester Leipzig und 1994-2006 im Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.
Als Dirigent gab Michael Sanderling sein erstes Konzert am 22. November 2001 mit dem Kammerorchester Berlin in der Berliner Philharmonie. 2006 wurde er zum Chefdirigenten und künstlerischen Leiter der Kammerakademie Potsdam ernannt. kip
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