zum Hauptinhalt

Kultur: Die Klage braucht eine Stimme

„Straßenkreuze“ – eine Ausstellung im Landtag, die über jugendlichen Leichtsinn erzählt und in die Schulen soll

Stand:

„Straßenkreuze“ – eine Ausstellung im Landtag, die über jugendlichen Leichtsinn erzählt und in die Schulen soll „Warum Ihr? Wo war der Engel, der Euch hätte beschützen sollen? Wo ist das Wunder, das alles ungeschehen macht?“ Diese Zeilen schrieb eine Mutter nach dem Tod ihrer verunglückten Zwillinge. Ein Straßenkreuz erinnert heute an die zwei. Sie waren auf der Heimfahrt vom Zivildienst, wo sie gerade Erdkröten von der Straße sammelten und in Sicherheit brachten. Gemeinsam mit einem Freund am Lenkrad fuhren sie zurück in ihr Dorf in der Börde. Dabei überholten sie einen Bus und kamen von der Straße ab „Der Tod kommt schnell. Er macht Opfer und Täter. Die Freunde, die man verlor, fehlen ein Leben lang. Ein Kreuz kommt zum anderen. ,Warum?’, steht auf einem der Straßenkreuze. Straßenkreuze stehen an den Unorten des Sterbens.“ Immer dichter wird das Netz dieser Kreuze, die uns nach dem Wer und Warum fragen lassen – und keine Antworten geben. Eine Ausstellung, die gestern vom Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr im Landtag eröffnet wurde, versucht, für dieses Thema zu sensibilisieren: Vor allem die Jugendlichen selbst, die sich durch ihren Leichtsinn immer wieder gefährden. Deshalb wird diese zwölf Tafeln umfassende Schau auch auf Wanderschaft gehen: hinein in die Schulen, um Diskussionen und Nachdenken anzuzetteln. Neben mit Blumen überhäuften Kreuzen sind sie es selbst, die in der Ausstellung zu Worte kommen. So erzählt der 18-jährige Oliver, dass er bereits einmal volltrunken in einen Straßengraben gefahren sei. „Das war für mich richtungsweisend. Ich trinke jetzt wirklich weniger, wenn ich fahren muss. Ich habe bei mir eine Eigenschaft bemerkt: Wenn ich allein bin, fahre ich ordentlich. Sobald aber noch ein paar Kumpels mit im Auto sitzen, ist es, als ob man etwas beweisen muss.“ Besonders drastisch wird es, wenn unter der Überschrift „Zeitlupe“ die letzte Sekunde zwischen dem Aufprall am Baum und dem letzten Atemzug beschrieben wird. „Deine Hände haben sich in Todesangst in das Lenkrad verkrallt. Sie biegen es fast vertikal. Deine Gelenke und Unterarme brechen. Du wirst von der Lenksäule durchbohrt. Stahlsplitter dringen in den Brustkorb, reißen Löcher in die Lungen, zerfetzen die inneren Arterien, Blut dringt in die Lungenflügel“ Schockierende Worte. Ob sich die Jugendlichen noch daran erinnern, wenn sie nachts losziehenund in eine der Kilometer weit entfernten Disco fahren? „Freitags an der Tankstelle. 23 Uhr. Cola, Bier und Kippen wandern ins Auto. Vorrat auf den langen Weg zur nächsten Disco.“ Nichts wird in dieser Schau beschönigt, auch nicht das immer weiter um sich greifende Drogenproblem. „Nur das Bewusstmachen hilft verhüten“, sagt Ludwig Schumann, Vorsitzender des Vierung Kunstvereins Magdeburg, der das Projekt in enger Kooperation mit Künstlern, Polizisten, Lehrern und Jugendlichen entwickelte und von Sachsen-Anhalt nun auch nach Brandenburg brachte. Er zögerte nicht lange, als zwei Hallenser Fotografen mit der Idee der Straßenkreuz-Ausstellung auf ihn zu kamen. Gerade hatte Ludwig Schumann von den tödlich verunglückten Zwillingen in seinem Nachbarort gehört . „Unser Projekt besteht aus vier Teilen: der Fotoausstellung, der pädagogisch aufgearbeiteten Schau, der Internetseite www.strassenkreuze.de und einer Jazz-Suite. Denn die Klage braucht eine Stimme.“ Heidi Jäger Schulen können die Schau beim Landesinstitut für Schule und Medien in Ludwigsfelde anfordern: Tel. 03378-209151.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })