Kultur: Die „kleinen Leute“ vom Hinterhof Uraufführung am BT:
„Der große Schwoof“
Stand:
190 Jahre Brandenburger Theater (BT). Ein guter Anlass, die Uraufführung eines Musicals auf den Spielplan zu bringen. Natürlich wurden die Darsteller wieder gecastet, denn die Bühne muss nach wie vor ohne Ensemble belebt werden. Ansonsten sind Gastspiele an der Tagesordnung. Doch mit den Brandenburger Symphonikern kann man viel Staat machen. Und die waren an der Geburtstagsfeier und damit an der Uraufführung beteiligt.
Das tat dem Zille-Musical „Der große Schwoof“, das sich der Brandenburger Bernd Köllinger ausgedacht und aufgeschrieben hat, sehr gut. Denn die Symphoniker spielten unter der Leitung ihres Chefdirigenten Michael Helmrath die Musik des Berliner Komponisten Klaus Wüsthoff mit viel Schwung und mit dem richtigen Ton für die zahlreichen Lieder, wovon einige das Zeug haben, Ohrwürmer zu werden. Wüsthoffs Gabe, unverfälscht und volkstümlich zu komponieren und mit seinen Melodien dem optimistischen Wesen der Berliner zu entsprechen, wird sicherlich dem Werk in puncto Musik ein Erfolg beschieden sein. Sie zeigt des Komponisten Souveränität im Beherrschen tänzerischer und liedhafter Formen und spielt wunderbar mit Elementen des berlinischen Singspiels oder sie weitet sich sogar mit einem sehnsuchtvollen Lied zum Schlager Lehár“scher Prägung aus. Die singenden Schauspieler Heike Jonca, Ursula Staack, Christiane Ziehl, Ines Rabsilber, Alexandra Ulrich, Silke Zängerle, Manfred Schulz, Michael Seeboth und Dietrich Seydlitz haben die Qualität der Lieder mit ihrem Gesang köstlich unterstützt, mit Schmiss, Gefühl und den richtigen Klangfarben für das Berlinische.
In Berlin um 1900 lässt Bernd Köllinger das Zille-Musical spielen. Nichts Biografisches über den Grafiker erfährt man darin. Seine gezeichneten und gemalten Figuren der „kleinen Leute“ vom Hinterhof sollen lebendig werden: der Kriegsversehrte, kesse Gören, Köchinnen oder die ehemalige Artistin und jetzige Kartenabreißerin. Sie alle sind mehr oder weniger vom Leben enttäuscht, sehnen sich nach einer schöneren Welt und machen irgendwie aus ihrem Leben ein erträgliches Dasein. Doch in Köllingers Stück gibt es keine Handlung. Wenn man meint, jetzt wird eine Geschichte über diesen oder jenen erzählt, dann reißt der Faden ab und alles wird nur behauptet. Und somit ist das Ganze nur eine Nummern-Revue, bei der man zwar die Lieder, auch deren teilweise witzigen Texte Köllingers, gern hört, aber ansonsten sich Langeweile breitmacht. Den gewaltigen Längen des Episoden-Stücks vermag man nur mit einer resoluten Bearbeitung beizukommen. Regisseur Peter Fabers hätte da eingreifen müssen. Er versucht zwar die Charaktere der einzelnen Figuren mit Genauigkeit zu zeichnen, gibt dem Hinterhof-Milieu mit dem großartigen Bühnenbild von Karl-Heinz Abramowski und den trefflichen Kostümen Kathrin Mickans echte Berliner Atmosphäre. Doch wie Fabers das Musical inszenierte, hatte etwas vom Theater vor 50 Jahren. Zu oft gesehene Klischees machten sich breit. Es muss kein „Kopfstandtheater“ geboten werden, aber das Heute sollte nicht vergessen werden. Nur gut, dass die Choreografin Sigrun Kressmann mit am Werke war, denn sie brachte mit den Tänzen ein wenig Schwung in die Aufführung.
Nach der Pause lichteten sich die Zuschauerreihen im Brandenburger Theater. Doch diejenigen, die bis zum Finale blieben, applaudierten mit großer Herzlichkeit. Orchester und Darsteller bedankten sich mit einem effektvoll gesungenen Potpourri, das noch einmal die Schlagkraft der Lieder Klaus Wüsthoffs verdeutlichte.
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