Kultur: Die Kraft liegt im Detail
Fotoausstellung in der Galerie Ruhnke
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Der Kamerablick von K.T. Blumberg schaut durch den Kamin auf einen Zeitungsleser und schneidet ihm glatt den Kopf ab. Kabelstränge winden sich bei Verena Thomas unter einem betagten Eisengestell. Bei Cordula Schneider fressen ich Rostflecken durch das Schild am Schallschutzgerät der ehemaligen „Volkseigenen Betriebe“. Susanne Heincke legt einen Arm auf die rosa Badematte.
Ungewöhnlich sind die Ein- und Ansichten der Fotoausstellung in der Galerie Ruhnke. Wenn eine Fotografenklasse ihre Abschlussausstellung mit dem Titel „Die Erfindung des Realen“ schmückt, kommt einem das wie ein Déjà-vu aus eigenen Studientagen vor, denn dass es keine wirkliche Wirklichkeit gibt, das wissen wir vermeintlich längst. Spätestens seit Paul Watzlawick über die Konstruktion von Wirklichkeit nachdachte, ist Wirklichkeit nur das, was wir aus ihr machen.
Dass das dokumentarische Foto auch nur einen Teil des Realen zeigt, machte John Heartfield schon in den 30er Jahren durch seine Montagen politisch aufmüpfig deutlich. Doch sagt der Titel ja noch etwas anderes. Es gibt das Reale, behauptet er pfiffig, und wir müssen es erfinden. Ein Fotoapparat ist eine handfeste Realie, das Auge des Fotografen jedoch ein sehr subjektiver Sinn. Die zwölf Serien, die in der Klasse von Wolfgang Zurborn an der Neuen Schule für Fotografie in Berlin im letzten Jahr entstanden sind, zeigen eine erstaunliche Gemeinsamkeit. Die Wirklichkeit wird dann erfunden, wenn wir nah an sie herankommen, Teile aus ihr herausnehmen und neu zusammensetzen. Die Totale ist out, das Detail ist in.
Der Lehrer Wolfgang Zurborn ist ein Meister seines Fachs, der in den Deichtorhallen in Hamburg ausstellen wird. Seine Schüler wollen es ihm gleichtun. Dennoch haben die Novizen ein eigenes Thema und eine eigene Handschrift gefunden. „Ahnen“ nennt Susanne Heincke ihre Serie, in der sie stilisierte Porträts in Farbe mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem Familienalbum konfrontiert. Ob die moderne Badende hinter ihren halbgeschlossenen Augen etwas ahnt, oder ob die Ahnin im daneben hängenden alten Foto, die vor einer Leiter hockt, gerade etwas erkennt, darf der Betrachter allein entscheiden. Gedanken zur Inszenierung von Körperlichkeit im Laufe sind nur eine Möglichkeit, diese Fotos zu interpretieren. Corinna Streitz fotografierte nachts in der Altmark, die Objekte reizen als hoch ästhetische Licht und Schatten-Ensembles die Fantasie des Betrachters. Sie wirken wie verrätselte Aufnahmen einer schon einmal gesehenen Möglichkeit des Daseins, sie sind durch ihre Bescheidenheit groß und geben durch ihre Uneindeutigkeit der Fantasie eine Leinwand.
Die einzige großformatige Arbeit von Dieter Seitz zeigt grünstichig junge Menschen beim Tanz, die Leuchtschrift Revolution verglüht vor den Augen des Schauenden. Wir werden in Gedanken in die Vergänglichkeit des revolutionären Pathos verstrickt, die uns eingeben, dass es zwar an der Zeit wäre für einen Umsturz, dass aber die Gesellschaft in die vollkommen unrevolutionären Jahre gekommen ist. Dafür entführt uns Cordula Schneider in die Relikte ehemaliger Grenzanlagen. Schilder, Dachausschnitte, verwaiste Büros leben vom vergangenen Charme der allzu sichtbaren Überwachung, gegen die man noch aufbegehren konnte. Damals, vor zwanzig Jahren.
Und K.T. Blumberg seziert in ihrer Serie „Samstag“ gestochen scharf halb angeschnittene Szenen, die Unschärfe produzieren, eine Unsicherheit. Sie zerlegen den Alltag wie bei dem Zeitungsleser, sie legen den Fokus auf scheinbar Nebensächliches, wie die Holzscheite im Kamin oder sie konfrontieren Unzusammenhängendes. Das Alltagspink des öffentlichen Telefonhörers glänzt im Kontrast zur überaus goldenen Skulptur. Auf diese Weise lässt man sich gerne auf die Erfindung des Realen ein. Lore Bardens
Bis 14. Juni, Galerie Ruhnke, Charlottenstraße 122, Do-So 14 bis 18 Uhr
Lore Bardens
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