Kultur: „Die Kuh führt mich überall hin“
Der Tag des Offenen Ateliers fand auch in den Künstlerwerkstätten der Galerie am Neuen Palais statt
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Der Tag des Offenen Ateliers fand auch in den Künstlerwerkstätten der Galerie am Neuen Palais statt Von Almut Andreae Orangerot glänzt die frische Tropfenspur auf der Papierarbeit. Die Collage mit Papierdrachen von Marianne Gielen bekommt gerade ihren letzten Schliff. Die Malerin hat ihre Arbeit kurzerhand an die Wand gelehnt und legt für einen Augenblick den Pinsel aus der Hand, als das Gespräch auf ihre Drachenbilder kommt. Hauchdünn, als wären es Schmetterlingsflügel, sind die Papierdrachen, die man auf den Straßen Neu Delhis bekommt. Als Marianne Gielen von ihrem kürzlich zu Ende gegangenen Atelierstipendium in Indiens Hauptstadt erzählt, steht ihr die Begeisterung buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Zurück in den heimatlichen Gefilden drängt es die Künstlerin, das Erlebte malerisch und fotografisch aufs Papier zu bannen. Meistens entstehen dabei Collagen. Dergestalt aufgearbeitet werden die künstlerischen Nachwehen ihrer Indienreise im Verbund mit den Impressionen vorhergehender Auslandsaufenthalte von der Künstlerin demnächst in einem Katalog zusammengebracht. Vor dem Eingang zu ihrem Atelier stapeln sich die bunt bebilderten Dokumentationen zu den Stipendien, die Marianne Gielen, wie unlängst nach Indien, bereits nach Afrika, Japan, in die USA und die Türkei führten. Zwar standen am vergangenen Sonntag zum Tag des offenen Ateliers nicht alle Türen der Künstlerwerkstätten im Atelierhaus offen. Doch wurde die gelöste Stimmung in dem Atelierhaus, das Jürgen Oswald seit einigen Jahren in dem Anbau seiner Galerie Am Neuen Palais betreibt, dadurch in keiner Weise getrübt. Mit den anwesenden Künstlern Theresa Beitl, Marianne Gielen, Heike Manleitner, Dieter Schumann und Manfred Seidel kam der Besucher leicht ins Gespräch. Bereitwillig präsentierten die Maler ihre Bilder und luden zu Kaffee und Keksen ein. Heike Manleitner und Theresa Beitl hatten sich gar eine besondere Aktion einfallen lassen. Unter dem Motto „Kunst als Geschenk“ und „Kunst als Gewinn“ starteten die beiden Malerinnen eine Verlosungsaktion, bei der gegen eine geringe Spende für jedes Los ein kleines Kunstobjekt zu gewinnen war. Als sich der Himmel draußen aufklarte, wurden Papier und Farbe ausgepackt und große wie kleine Gäste unter der fachkundigen Anleitung der beiden Künstlerinnen zum selbst Gestalten animiert. Ihre eigenen Kunstwerke haben Heike Manleitner und Theresa Beitl in ihren Atelierräumen ebenfalls einladend präsentiert. Im Mittelpunkt bei Theresa Beitl steht vor allem die Kuh. Ob in Öl oder Aquarell, ob kauernd oder auf dem Kopf: der Berlinerin mit österreichischen Wurzeln hat es die Kuh angetan! Einmal ganz abgesehen von der bis in die frühesten Anfänge der Malerei zurück zu verfolgenden Motivgeschichte ist die in Indien sprichwörtlich heilige Kuh für Theresa Beitl zu einem ganz persönlichen Symbol geworden. „Die Kuh führt mich überall hin“, erläutert die sympathische Malerin. Durch die künstlerische Auseinandersetzung mit der Kuh fühlt sie sich an die Grundprobleme des Lebens herangeführt. Gleichsam zum Symbol verdichtet, reflektiert die Gestalt der Kuh bei Theresa Beitl in immer neuen Form- und Farbvarianten das Verhältnis zwischen Mensch und Tier, die gesellschaftliche Be- bzw. Missachtung der Natur und den Kreislauf des Lebens. Was sich künstlerisch alles aus dem Kuh-Motiv machen lässt, führte die Präsentation in Beitls Atelier, angefangen von den in Serie gearbeiteten kleinformatigen bunten Kühen bis hin zum imposanten abstrakten Ölgemälde mit dem Titel „Kuhträume“ eindrucksvoll vor Augen. Weniger tierisch ging es im benachbarten Atelier von Heike Manleitner zu. Hier bestimmten weibliche Torsi in zarten Pastellfarben das Bild. Ihre überwiegend kleinen aber feinen Papierarbeiten, ausgeführt als Aquarell oder als Mischtechnik mit Ölpastell, sowie duftige Seidenmalereien hatte die Künstlerin, wirkungsvoll untermalt durch den lyrischen Klangteppich der irischen Sängerin Loreena McKennitt zu einem intimen Ensemble arrangiert. Im kräftigen Kontrast zu dieser femininen Welt stehen die auf prägnante Hell-Dunkel-Kontraste und kräftigen Farben setzenden Bilder von Manfred Seidel. Der Potsdamer Maler und Grafiker, der sich vor allem als Porträtist märkischer Landschaften einen Namen gemacht hat, breitete an den Wänden seines geräumigen Ateliers in Öl, Pastell, Aquarell, Mischtechnik und in Hinterglasmalerei das ganze Spektrum an Blumen, Stillleben und Landschaftsmalerei aus. Ein motivisch vergleichbares Repertoire findet sich nebenan bei Dieter Schumann. Der 1934 in Weißenfels/Saale geborene Maler und Grafiker war der erste, der seinerzeit das von Jürgen Oswald bereitgestellte Atelierhaus bezog. Schumann lässt sich mit Vorliebe von Motiven aus der Gegend inspirieren. Wenn er draußen in der Natur den richtigen Anstoß erhalten hat, entstehen die Bilder hier im Atelier. Dabei nehmen auch Holzschnitte, die Schumann mit Vorliebe fertigt, einen immer größeren Stellenwert ein. „Na ja. Nicht zu viel erklären...“, unterbricht sich Schumann bei seinen Erläuterungen mit einem Mal selbst. An einem Tag wie diesem gehört im Atelierhaus, wo Maler und Kunst eine Symbiose bilden, solch ein bedeutungsvolles Stillschweigen zum Charme mit dazu.
Almut Andreae
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