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Kultur: Die Kunst der zielführenden Abschweifung Verena Roßbacher liest in der Reihe „Wort-frei“
„Du musst das, sagte er, während er in wilden Zügen ganze Absätze durchstrich, übrigens nicht dermaßen ausführlich erzählen, das ist nicht interessant.“ Immer wieder unterbricht der Lektor die Autorin.
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„Du musst das, sagte er, während er in wilden Zügen ganze Absätze durchstrich, übrigens nicht dermaßen ausführlich erzählen, das ist nicht interessant.“ Immer wieder unterbricht der Lektor die Autorin. Ihr mangele es an Gefühl für Spannungsaufbau, sie solle doch ihren Stoff mehr verdichten und all die abseitigen Überlegungen weglassen. Und tatsächlich – ohne diese regelmäßig eingeschobenen Streitzwischenspiele, die Verena Roßbacher in ihren neuen Roman „Schwätzen und Schlachten“ (Kiepenheuer & Witsch, 24,99 Euro) als erzählerische Meta-Ebene eingebaut hat, weiß der Leser oft gar nicht, worauf er sein Augenmerk richten soll. Denn zwar wird gleich eingangs dieses Buches, das sie am Donnerstag in der Stadt- und Landesbibliothek vorstellen wird, ein Mord angekündigt. Doch braucht es dann sehr lange, ehe die Handlung vorankommt und sich ein roter Faden erkennen lässt.
Zunächst einmal liegt das an den Hauptfiguren, drei recht antriebslose Mittdreißiger, die nicht nur eine gemeinsame Vorliebe für endlos ausufernde Gespräche teilen, sondern sich auch nicht im Geringsten als Detektive eignen. Zum einen wäre da der ewige Literaturstudent und an seiner Frauenlosigkeit leidende Frederick von Sydow, dann Simon Glaser, ein Künstler, der seltsame Filme dreht und „irgendwas mit Neuen Medien“ macht und schließlich noch der erwerbslose Österreichflüchtling David Stanjic, der bereits in Roßbachers Debütroman „Verlangen nach Drachen“(2009) auftaucht. Gelegentlich treffen sich diese drei Zeitgenossen, um mit Cello, Klarinette und Ziehharmonika gemeinsam Hausmusik zu machen. Die meiste Zeit aber sitzen sie saumselig in einem Berliner Kaffeehaus im Prenzlauer Berg, verzehren dort Zopfbrote, allerlei Suppen und St. Gallener Bratwürste, derweil sie ausgiebig über das Leben philosophieren und sich so ziellos schwätzend die Tage vertreiben. Bis von Sydow und Stanjic zufällig einen von Glaser verfassten, verdächtigen Text mit dem Unheil verkündenden Titel „Schlachten“ entdecken und beschließen, ihren Freund auszuspionieren, da in dem Text jemand, der Glaser verblüffend ähnelt, ganz offenbar einen Mord plant. Allerdings denkt Verena Roßbacher überhaupt nicht daran, ihre Helden schnurstracks Ermittlungsarbeit leisten zu lassen. Denn unverkennbar hat die 1979 in Österreich geborene Autorin, die in Zürich und am Leipziger Literaturinstitut studiert hat und heute in Berlin lebt, einen ausgeprägten Sinn für Humor und ein Faible für Ironie. Ständig und gekonnt spielt sie mit Klischees und besonders gern mit den Erwartungshaltungen des Lesers, lockt ihn auf falsche Fährten und hat ihren Spaß an munter wechselnden Erzählperspektiven, etlichen witzigen, an sich aber belanglosen Nebengeschichtchen, oft seltsam skurrilen Assoziationsketten, veralteten Wörtern und vor allem an seitenlangen Abschweifungen, wodurch einem der eigentliche Plot des Romans fast vorenthalten wird.
Und so verlieren sich die Figuren in Verena Roßbachers zweitem Roman „Schwätzen und Schlachten“, diesem zwar recht amüsanten, doch mit 640 Seiten auch etwas ermüdenden Anti-Krimi, von Anfang an in ihren ausgreifenden Erörterungen und Diskussionen. Etwa über das Kinderkriegen, die verschwundenen Kugelstoßerinnen aus der DDR, König Leonidas oder die Weisheiten auf bedrucktem Klopapier. Dazu gibt es nachdenkliche Bussarde, viel Edvard Grieg, Kachelmosaike und in Baumkronen sitzende Kosmonauten. Und nicht zu vergessen, eine geheimnisvolle Bluttat, die verhindert werden muss. Daniel Flügel
Am Donnerstag, dem 19. Juni, um 19.30 Uhr stellt Verena Roßbacher ihren neuen Roman „Schwätzen und Schlachten“ im Rahmen der Lesereihe „Wortfrei“ in der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, vor. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 4 Euro
Daniel Flügel
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