
© Andreas Klaer
Kultur: Die Kunst des Augenblicks
Ein Überblick über das Schaffen des Malers Jörg Menge ist in der Galerie Am Jägertor zu sehen
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Sehr viel gibt die veröffentlichte Vita des 1960 in Leipzig geborenen Malers Jörg Menge nicht her. Man erfährt lediglich von seinem Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee in den Achtzigerjahren, dass er 1994 ein Kandidat des Landkreises Havelland für den brandenburgischen Kunstpreis war, Ateliers in Berlin, auf dem Darß und in Falkensee betrieb, und nach der Jahrtausendwende sogar „Professor an der German Film School University for digital production“ in Wustermark/Elstal gleich um die Ecke war. Natürlich, Ausstellungen hier und dort, dürftige Auskünfte letztlich für einen Lebendigen über die Wege seines gedachten und ermalten Lebens, fast wie ein Null ouvert.
Aber es gibt ja die Bilder, Bilder eines begnadeten Malers aus den letzten zwanzig Jahren, die derzeit in der Galerie am Jägertor zu sehen sind, und hinter denen sich Jörg Menge wahrlich nicht verstecken muss. Sonst wäre ja auch schließlich die ganze Malerei sinnlos und überflüssig. Ein Mann – viele Bilder also, viele Bilder – ein Mann, Ölbilder, Gezeichnetes, Grafik. Seine Motive sind selbstverständlich eigene, also original. Das Dazugelernte, die Tradition, die Malart sind jeweils einem Vorbild geschuldet, Menges Vita fügte sie diesem Curriculum mit ungewissem Ausgang hinzu.
Dieser Maler lebt in sich und zugleich in einer lebendigen Welt, die ihn trägt, und fordert – und auch mal verlässt. Sein Stil, seine Bilder erzählen von solchen Ist-Zuständen, die Goethe im „Faust“ als Kunst des Moments, des Augenblicks favorisierte, und die sehr wohl mit einem Exitus enden können, geistig oder materiell verstanden.
Einige Besonderheiten sind Menges Malerei eigen: Die Fähigkeit, sich selbst mit ins Bild hineinzunehmen, wortwörtlich als Träger eines Fauns, der seinerseits die mythische Ziege schultert, als Protagonist oder Kommentator einer Idee, als Flötenspieler, als „Kleiner Teufel“ oder als gar seltsamer Don Quichotte, der starr in die seitliche Ferne schaut, während seine Rosinante brav in Richtung des Betrachters trottet. Manchmal erkennt man ihn auch nur an den Augen einer fremden Gestalt. Ein Gaukler, ein Schalk, ein Zungeherausstrecker, ein Maler des heiteren Gemüts, den Menschen und ihrer Welt einen Spiegel vorhaltend: Räkelt euch am Strand? Ihr hängt ja wie in der Luft, und erst eure Gesichter! Oder: Don Quichotte willst du sein? Schau, wie du dabei aussiehst!
Wenn ein Künstler sein Amt als Eulenspiegel wahrnimmt wie Menge hier, hat er die Königsklasse seiner Berufung erreicht, mehr geht nicht, höchstens mehr Geld vom Markt zu schöpfen, aber das trifft hier ja nicht zu. Ob Ölbilder größerer Formate oder filigrane, fast miniaturhafte Federzeichnungen mit Tusche auf ebenfalls größeren Bögen: Jörg Menge hat sich der Darstellung von Menschen verschrieben. Er ist ein hervorragender Porträtist, kann ausdruckstarke Augen malen, und ist noch dazu ein kluger Regisseur seiner Bilder.
Wenige nur, etwa „Warten“, scheinen bis Ultimo durchgearbeitet, die meisten anderen lassen den Hintergrund eher diffus, heben aus einer Figurengruppe meist nur einen Einzelnen heraus, der manchmal mit scharlachroter Signatur gekennzeichnet wird. Die Bildschärfe nimmt dann also von der Peripherie zur Mitte hin zu. Oft überzeichnet er die Extremitäten, bei „Masken“ zum Beispiel, wo lange Finger fast zu Krallen werden. Manche Posen und Arrangements – meist Nackte – erinnern hingegen an die Kunst der Renaissance.
Menge setzt die Tiefenschärfe gerne ein wie auch der mexikanischen Maler David Siqueiros: Alles im Vordergrund wirkt dabei groß bis übergroß, während sich der Rest in der Tiefe des Raumes verliert. Auch die Kunst, mit Weißhöhungen zu arbeiten, gehört zu seinen bevorzugten Stilelementen. Und wie wenig braucht er bei „Überfahrt“, um eine Hand zum Leben zu wecken. Von den Farben bevorzugt er die fahlen. Seine Federzeichnungen in Schwarzweiß sind auffallend klein, vielleicht neigen ihre Motive deshalb zu so kompakten, ja geradezu extrem komprimierten Darstellungen. Perlen der Zeichenkunst, von der griechischen Mythologie beseelt, vom Eros, oder vom Tantalos, der seinen Sohn schlachtete, um die Götter zu prüfen und dafür inmitten des Überflusses Durst und Hunger leiden muss, auf ewig. Wo also endet die Überfahrt mit den Übermütigen, von denen einer alles mit seiner Kamera filmt? Warum grinst dieser Säulenheilige mit dem Weinkrug nur so unverschämt vor sich hin, und was hat es mit diesem Standbild für alle Veränderer („Warten“) auf sich, wo der Narr Uniform trägt und einer mit schmutzigen Füßen den Reibach macht? Selige Sommergäste, ein verstorbener und betrauerter Harlekin, ein „Überflieger“ und andere Zeitgenossen der Maljahre 2006 bis 2013 tummeln sich im Kosmos von Jörg Menge, alle so souverän wie der Maler selbst. Bilder des Spotts und des eher sanften Zorns, nicht maßlos in ihrem Wollen, nachdrücklich aber schon. Da schaute man gern mehrmals hin – der Augenblick aber verhindert das.
Jörg Menges Bilder sind noch bis zum 20. Juni in der Galerie Am Jägertor, Lindenstraße 64, zu sehen. Geöffnet ist jeweils mittwochs bis samstags von 14 bis 18 Uhr
Gerold Paul
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