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Von Lena Schneider: Die Liebe ist auch nur ein Wort

So wuchtig wie dünn: Das Schauspiel „Die Kameliendame“ im Neuen Theater ist eine Oper ohne Gesang

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Ach, die Liebe, die Liebe! Auch wer das Stück von Alexandre Dumas oder die vom Roman inspirierte Oper „La Traviata“ kennt, ist dann doch überrascht von der geradezu unerbittlichen Vehemenz, mit der das Wort einem auf der Bühne begegnet. Immer wieder die Liebe! Unzählige Male wird das Wort im Laufe des Stückes beteuert, gerufen, befragt – und wie ein Stehaufmännchen taucht es immer dann auf, wenn man es gerade begraben wähnte. Die Liebe, ein Wiedergänger. Erst mit Ende des Stückes, wenn die unglückliche, kranke Liebende ihren letzten Atemzug getan hat, darf auch die Liebe sich zur Ruhe legen – man ist geneigt zu sagen: endlich.

Von heutigem Standpunkt aus gesehen ist „Die Kameliendame“, uraufgeführt 1852, ein so wuchtiger wie dünner Stoff: Die Kurtisane Marguerite, genannt „Die Kameliendame“, die eigentlich vom Geld ihrer Verehrer lebt, verliebt sich in den Habenichts Armand. Sie sagt sich von ihrem bisherigen Geliebten Baron de Varville los, um mit Armand auf dem Land zu leben, aber ihre Herkunft holt sie ein: Auf Bitten von Duvals Vater, der Marguerite als ehemalige Kurtisane nicht tolerieren kann, verlässt sie Armand, ohne ihm den eigentlichen Grund zu nennen und stirbt verlassen und unverstanden schließlich an TBC. Neben einem grundsätzlichen Seufzen über die Unmöglichkeit der Liebe geht es um Standesfragen, darum wie echte Liebe in einer falschen (vom Geld regierten) Welt möglich ist, um die Unerbittlichkeit einer Gesellschaft, in der eigenständige (wenn auch vom Geld der Männer abhängige) Frauen keinen Platz haben. Oder: Darum könnte es gehen, wenn man sich überlegt, was an der „Kameliendame“ außer einem schwammigen Ach-wie-tragisch-Gefühl heute noch interessieren mag.

Aber soweit geht Peter Kube in seiner Inszenierung nicht. Der Regisseur stürzt sich mit Karacho auf die so genannten großen Gefühle. Anstatt Fragen an den Text zu stellen, auch an oben zitiertes Lieblingswort des Stückes vielleicht, inszeniert er ihn als Oper: Er nimmt sich eingängige Orchester- und besonders gerne Streicherpassagen (aus „La Traviata“), gießt sie in und zwischen die Szenen, um jeder möglichen emotionalen Ambivalenz im Vorhinein den Garaus zu machen, stellt die Schauspieler in eine Bühne aus pink-gelb-gemaserten Pappwänden und lässt sie häufig so überzeichnet agieren, als hätten sie schwierige Gesangspartien zu meistern. Das hat den seltsamen Effekt, dass man sich auch als opernfremder Zuschauer wünscht, die auf der Bühne mögen doch aus sich herausbrechen, endlich nicht mehr so tun als spielten sie Theater und mal eine Arie anstimmen. Aber zu so viel Überzeichnung kommt es bei aller offenbaren Lust am Kitsch nicht, schade.

Die Bühne von Jens Büttner könnte ein nicht mehr ganz baufrisches Spielkasino in Las Vegas sein, die roten Salon-Sessel sind so zeitlos allgemeingültig wie die Cocktailkleider der Damen und die Anzüge der Herren. Das Geschehen soll wohl vage im Heute verankert sein. Dennoch hat diese Welt mit der unseren nichts zu tun, sondern bleibt – Kenner, die es besser wissen, mögen den Ausdruck verzeihen – opernhaft, also behauptet, leblos. Die Rahmenhandlung – zu Anfang muss Armand seine Geliebte Marguerite erst aus dem Reich der Toten heraufbeschwören, um ihre gemeinsame Geschichte erzählen zu können – tut dabei das Übrige. Wenn die Regie das wörtlich nimmt und Elzemarieke de Vos als Kameliendame aus der Unterbühne herauffahren lässt wie einen Zombie aus der Grube, dann wirkt das eher unfreiwillig komisch als tragisch. Ähnlich, wenn der Tod in Gestalt des Doktors (Christoph Hohmann) mit drohender Gebärde über die Bühne streift, um die Tuberkulose-kranke Marguerite – und uns – nimmermüde an das nahe Ende zu mahnen.

Elzemarieke de Vos als Marguerite und Holger Bülow als Armand machen ihre Sache den Umständen entsprechend gut. De Vos ist eine mädchenhafte Kameliendame, schmal und bleich wie es sich gehört, weniger die große Gesellschaftsdame als eine sich mit aller Kraft und großen Augen ans Leben Krallende. Dass ihre tragische Heldin letztlich wenig berührt liegt daran, dass diese Inszenierung gar nicht erst versucht, sie mehr sein zu lassen als eine Opernheldin ohne Arien. Holger Bülow ist ein in seiner Verlorenheit rührender Armand, spitzbübisch, wenn er die Geliebte für sich gewinnt, außer sich, wenn er sie verliert. Die beiden kämpfen umeinander und aneinander vorbei, und als sie einen Moment lang glücklich sein dürfen, auf dem Land, vor einem sonnengelb bemalten Theaterprospekt mit einer toskanischen Landschaft, da glaubt man ihnen sogar dieses Wort, von dem sie so oft sprechen. Meistens aber bleibt das große Gefühl, das hier beschworen werden soll, was es manchmal eben auch ist: ein Wort.

Wieder am 31. Januar um 17 Uhr.

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