Kultur: Die Liebe trug ihn gegen die Angst
Martin Ahrends schrieb ein Dokumentarstück über Martin Luther Kings Traum von Gewaltlosigkeit
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Texte, die man in der Kindheit auswendig lernt, prägen sich tief ein. Das ist die Erfahrung des Potsdamer Schriftstellers Martin Ahrends. Nun schrieb er selbst für junge Leute: ein musikalisches Dokumentarstück über den Bürgerrechtler Martin Luther King, das am Montag von 150 Mitgliedern der Jugendkantorei Kleinmachnow in der Waschhaus-Arena aufgeführt wird. „Es war eine große Hürde und Verantwortung, die ich damit übernahm. Die Schüler werden im Unterricht mit Brecht, Goethe und Schiller konfrontiert und nun maße ich mir an, für sie zu dichten, obwohl ich gar kein Lyriker bin.“
Anfangs seien seine Texte noch etwas verkrampft und künstlich gewesen, erinnert er sich. Doch Ahrends, der in den 70er Jahren Musik, Philosophie und Schauspielregie studierte, verstand seine theatrale Vorlage über Kings Weg der Gewaltlosigkeit als ein Angebot. Gern war er bereit, gemeinsam mit dem Komponisten Bernhard Opitz den Versen klarere Strukturen und mehr „Musik“ zu verleihen. „Wenn ein Atheist über Gott schreibt und es der Sohn eines Pfarrers liest, gibt es natürlich viel Gesprächsstoff. Über dieses Zusammenraufen sind wir Freunde geworden“, so Martin Ahrends über die gemeinsame Arbeit mit dem Potsdamer Komponisten.
Nachdem er vor wenigen Tagen die erste Hauptprobe gesehen hat, ist der Autor, der zu DDR-Zeiten aufgrund seiner Sympathie für die Solidarnosc-Bewegung Arbeitsverbot bekam, erleichtert: „Ich bin mit der Umsetzung dieses großangelegten Projektes sehr zufrieden. Wenn ein Skelett Fleisch bekommt, ist das wunderbar.“ Anfangs sei er durchaus skeptisch gewesen, „aber ich denke, es ist gut gegangen. Daran habe ich allerdings nur wenig Anteil, und das sage ich ohne falsche Bescheidenheit.“ Die Regisseure Antonia Braun und Bernhard Hanuschik sowie der Kantor Karsten Seibt stellten das Stück auf sehr heutige Füße. „Es ist aktionsreiches Theater für junge Leute und kein moralisierendes Gesinnungstheater.“
Zuerst hatten Ahrends und Opitz erwogen, ein Musical zu schreiben. „Wir entschieden uns dann aber für die Brechtsche Dokumentarform, um es nicht kitschig werden zu lassen.“ Denn natürlich birgt die Lebensgeschichte des 1968 hinterrücks erschossenen Bürgerrechtlers und Baptistenpastors, der durch seine glühenden Reden die Menschen mitriss, Stoff für große Gefühle. Martin Ahrends greift einige Szenen aus diesem bewegten Leben heraus und gibt auch Reden verkürzt wider – auf den heutigen Blickwinkel bedacht. Es wurde sogar aktueller, als er selbst erahnte: Als er vor zwei Jahren den Auftrag erhielt, den Text zu schreiben, war an Barack Obamas Popularität noch gar nicht zu denken. 40 Jahre nach dem Mord am Martin Luther King kandidiert mit Obama nun zum ersten Mal in der Geschichte der USA ein Farbiger für die Präsidentschaft. Martin Ahrends fühlte das in seinem Text vor: „Und wisst ihr, was ich sehen kann, ich glaub es selber nicht: Ein schwarzer Mister Präsident steht da im Rampenlicht“, lässt er die Kinder diese Zukunftsmusik über die Bühne rappen.
Eingebettet ist Ahrends Szenenfolge in eine zeitlose Love-Story a la „Romeo und Julia“: Ein schwarzer Junge liebt ein weißes Mädchen und die Eltern sind dagegen. Sowohl die weißen als auch die schwarzen.
Von den historisch verbürgten Begebenheiten stützte sich der Schriftsteller unter anderem auf den Busboykott 1957 in Montgomery in Alabama, wo der junge King seine erste Pfarrstelle hatte. Nachdem die 42-jährige Schwarze Rosa Parks, die erschöpft von der Arbeit kam, sich weigerte, einem Weißen ihren Platz frei zu machen, kam sie dafür ins Gefängnis. Im Ergebnis des Busstreiks der Schwarzen wurde die Rassentrennung in den Bussen – zunächst in Alabama – aufgehoben. „Das war der Anfang der von King ins Leben gerufenen Bürgerrechtsbewegung mit den Mitteln des passiven Widerstands“, so der 56-jährige Autor.
Erzählt werde auch von einer Demonstration in Chicago, bei der Schwarze auf der Straße knieten und christliche Kirchenlieder sangen. „Die weißen Polizisten standen mit prallgefüllten Wasserschläuchen vor ihnen. Doch sie spritzen nicht auf die für ihre Gleichberechtigung eintretenden Widerständler. Vielleicht dachten die Polizisten an ihre schwarze Kinderfrau, die ihnen einst die selben Lieder vorsang, oder an die schwarzen Landarbeiter, die früher ihre Felder bestellten. Auf jeden Fall war es ein Akt der Entwaffnung ohne Gewalt“, sagt Ahrends.
Während dieser Szene wird der Kinderchor der Kantorei das Lied „Hush Little Baby“ von Joan Baez singen. „Es erklingt immer dann, wenn etwas Himmlisches ins Spiel kommt“, betont Martin Ahrends. So ein Hoffnungsstrahl blitze auch dann auf, wenn Martin Luther King seine Angst überwindet und aus dem Haus tritt, um dem KuKluxKlan mit den brennenden Fackeln friedlich die Stirn zu bieten. „Die weißen Masken huschen ums Haus, ich muss mich wehren, ich muss hinaus ...“, heißt es im Text.
Zu diesem Zeitpunkt hat King bereits zwei Attentate überlebt, die ihre Spuren hinterließen. Durch den Friedensnobelpreis war er zwar weltberühmt geworden, doch sein Leben blieb weiter in Gefahr. „Bei seiner Frau Coretta konnte dieser integre, respektable Mann seine Angst und Schwäche zeigen. Er lebte von dieser Liebe, die ihn draußen trug. Sie gab ihm auch die Stärke, sich mit dem möglichen Tod abzufinden, denn er wusste, dass seine Ideen weiter leben“, so Ahrends.
Für den in Berlin-Zehlendorf geborenen Schriftsteller, der 1957 nach Kleinmachnow übersiedelte und 1984 wieder in den Westen ausreiste, war die Arbeit über Martin Luther King auch ein Nachdenken über das Göttliche. „Ich glaube, dass der Sinn für das Gute angeboren ist: Er steckt in uns und wird nicht gelernt. Das ist das, was für mich Gott sein könnte – dieser Stimme in uns zuzuhören. Goethe sagte: ,Ganz leise spricht ein Gott in unserer Brust, ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an, was zu ergreifen ist und was zu fliehen“.“
Das könnte auch den Sinn für die Kinder und Jugendlichen ergeben: Vorbilder bekommen, die das eigene Ich bestärken. Schon allein deswegen lohnt es sich, auch die Ahrend“schen Texte auswendig zu lernen und sie vielleicht bis ins Erwachsenenalter mitzunehmen.
Montag, 19 Uhr, Waschhaus-Arena, Eintritt 8/5 €. Unterstützt vom Verein zur Förderung der Kirchenmusik Kleinmachnow und Schirmherr Matthias Platzeck.
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