Kultur: Die Lust nach märk’schen Rübchen „Märkische Leselust“ mit Goethe und Zelter
Die „Märkische Leselust“ kann manchmal bis nach Weimar reichen, da wo die Dichterfürsten thronten. In klassischer Zeit wuchs selbst dort noch manches Pflänzlein heran, eine Art freilich nicht: Märkische Rübchen.
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Die „Märkische Leselust“ kann manchmal bis nach Weimar reichen, da wo die Dichterfürsten thronten. In klassischer Zeit wuchs selbst dort noch manches Pflänzlein heran, eine Art freilich nicht: Märkische Rübchen. Nun wäre es natürlich völlig ungebührlich, einen Zusammenhang zwischen dem Briefwechsel von Johann Wolfgang Goethe und Karl Friedrich Zelter und Goethes unbegreiflichem Appetit nach diesen „Teltowern“ zu konstruieren. Dass solche Bestellungen in der 30-jährigen Korrespondenz trotzdem verdächtig oft auftauchen, war der beliebten Lese-Matinee „Märkische Leselust“ unter dem Titel „Schicken Sie mir echte märk’sche Rübchen“ im Hans Otto Theater am Sonntag klar und deutlich zu entnehmen. Hans-Jochen Röhrig hatte sich die Mühe gemacht, dem Publikum einen Querschnitt aus dem 871 Briefen zusammenzustellen und mit Zelter-Vertonungen von Goethes Gedichten zu schmankerln.
Karl Friedrich Zelter, 1758 geboren, mal war es Petzow, mal Potsdam, mal die Großstadt Berlin, denn über seinen Geburtsort streitet man bis heute, übernahm 1800 die Berliner Singakademie, gründete neun Jahre später die erste Liedertafel, 1820 dann das Institut für Kirchenmusik. Seine Spezialstrecke: Solo- und Chorlieder. Im Jahr 1802 lernte er Johann Wolfgang von Goethe in Weimar kennen. Aus dem Kennenlernen wurde eine Freundschaft und der jahrzehntelange Briefwechsel. Goethe schrieb im Juni 1826 über ihren Briefwechsel, welcher in Kunst- und Lebensfragen wohl kein Thema ausließ: „Es ist ein wunderliches Dokument, das an wahrem Gehalt und barockem Wesen wohl kaum seinesgleichen finden möchte“. Gestorben sind sie zwei Monate nacheinander.
Und damit ist man auch schon mittendrin in Röhrichts gut besuchter Lese-Matinee. Doch wo beginnen? Bei der Musik, bei der Kunst, den Weltläufen, der Geschichte, den Staatskünsten? Nichts dergleichen, im Glasfoyer des Theaters erlebte man Goethe und Zelter eher privat. Man schätzte und hofierte einander, schwatzte über Reichardts Kompositionen, drängte auf persönliche Begegnungen, wovon kein Text dann Zeugnis gab; hier ein Trauerfall, dort der Vorschlag, wenigstens Sohn August nach Berlin zu senden, was ein sonderbares Licht auf diese angebliche Tiefenfreundschaft wirft: Des Vaters Intimus sollte auch des Sohnes Freund sein? Dafür immer wieder Bestellungen märkischer Rübchen Richtung Weimar. Alles so nett und menschlich! Wo aber blieb die im Original so unübersehbare Substanz, die einen Klassiker erst zu einem echten Klassiker macht, fähig also, dem lieben Publikum mehr als ein seliges Seufzen abzuringen? Nein, das war alles zu schnell und nicht gut bedacht: Gleich mal den vieltausendseitigen Briefwechsel präsentieren zu wollen, war natürlich geschummelt.
Zelter, gelesen von Christoph Hohmann, den Part des Protagonisten zu überlassen, während der Aktivist Goethe, alias Hans-Jochen Röhrig, nur passiv die Rolle des Stichwortgebers, Kurzantworters und Rübchenbestellers bleibt, könnte fast schon unter Subversion laufen, wüsste man es nicht besser. Aber bekanntlich gibt es ja keine schlechten Goethe-Veranstaltungen, dieser Mann kommt immer an! So auch am Sonntag bei der „Märkischen Leselust“. Von Rita Herzog am Klavier begleitet, sang Gabriele Näther Goethes Lieder wie „Wanderers Nachtlied“ oder „Mignon“ in alt bewährter Weise, also mit sehr viel Sinn und Gefühl. Gerold Paul
Gerold Paul
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