Kultur: Die Mädchen von Zimmer 28
„Der Mensch ist auf der Welt, um Gutes zu tun. Wer sich nicht daran hält, hat kein Recht, ein Mensch zu sein“.
Stand:
„Der Mensch ist auf der Welt, um Gutes zu tun. Wer sich nicht daran hält, hat kein Recht, ein Mensch zu sein“. Diese Worte schrieb Lenka Lindt am 15. Oktober 1944 „zum Andenken für mein Herzchen“ in ein Poesiealbum. Jene Freundin lebte wie Ruth Schächter, Handa Pollak und achtundzwanzig weitere jüdische Mädchen zwischen 1942 und 1944 im nordböhmischen Lager Theresienstadt, genauer im Mädchenheim L. 410, 2. Stock, Zimmer 28, welches genauso viele Quadratmeter wie Insassen hatte. Von familiären und sonstigen Bindungen gewaltsam getrennt, machten etwa sechzig dieser noch kindlichen Ghetto-Häftlinge mit diesem Zimmer Bekanntschaft. Freundschaften entwickelten sich in solidarischer Not, man schrieb Briefe und Sprüche ins Poesiealbum, gründete sogar die geheime Gesellschaft („Maagal“ gleich Kreis) mit eigener Fahne, lebte in Hoffnung, den Krieg auf dieser „Insel im tobenden Meer“ zu überstehen und fürchtete angesichts täglicher Transporte das Schlimmste. In nur einem Jahr wurden sie so „erwachsen“. Alle vom Zimmer 28 kamen tatsächlich nach Auschwitz. Fünfzehn überlebten die Hölle im Schwur, sich jährlich in Spindlermühle zu treffen... Das Schicksal der Mädchen hat die Berliner Autorin Hannelore Brenner-Wonschik offenbar im Inneren ergriffen. Zusammen mit den Geretteten schrieb sie das bewegende Buch „Die Mädchen von Zimmer 28“, von dem es auch eine CD-Fassung gibt und organisierte eine (abrufbare) Wanderausstellung. Auf Einladung des „Café Zeitlos“ war am Freitag eine Textcollage desselben Stoffes in Babelsberg zu hören. Vor 15 Gästen gestalteten die Autorin, ihre Tochter Hester Wonschick und die Schauspielerin Erika Eller eine szenische Lesung von beeindruckender Intensität. An den Wänden Originaldokumente aus Theresienstadt, Bilder und Zeichnungen, Briefe und Mitteilungen über jene Hoffnung spendende Kinderoper „Brundibár“ (Brummbär), welche der tschechische Komponist Hans Krása zum Trost der Gefangenen schrieb und die von ihnen selbst im Lager geradezu inbrünstig aufgeführt wurde. Musikbeispiele sowie Stimmen von Überlebenden aus dem Off ergänzten die Veranstaltung eindringlich. Eine Lesung, die den Namen „szenisch“ wahrlich verdiente. Die Autorin stellte persönliche Schicksale zusammen, schilderte den (für Kinder noch erträglichen) Lageralltag, dieweil in anderen Kasernen Erwachsene verhungerten. Fürsorge und Liebe erfuhren sie von ihren Betreuerinnen, Solidarität schufen sie selbst. Man erfuhr, was dieser musikalische „Brummbär“ für ihr Selbstvertrauen bedeutete, hörte von einer Rot-Kreuz-Delegation, welche sich überrascht-zufrieden von Theresienstadt zeigte, von Dreharbeiten zum Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Unmittelbar danach begannen die Massendeportationen gen Osten. Wer sie überlebte, konnte nach dreitägiger Fahrt in Viehwaggons die Ankunft an der „Rampe“ beschreiben, sah nicht nur Rauch, sondern gar Feuer aus den Schloten schlagen. Der ganze „Septembertransport“, von dem die Lesung berichtete, musste ins Gas. Es brauchte weder Kommentar noch politisches Statement, um diese Botschaft ganz direkt zu empfangen: Schweigen danach, es gab nichts zu sagen. Viel Jugend im Publikum, die heute so alt ist, wie damals die Mädchen von „28“. Andere dachten vielleicht an ihre Kinder und Enkel. Wahrheit tut weh, Vergessen ist schlimm, denn die Unschuldigen zahlen auf Erden die Schuld alles Bösen. Gerold Paul Hannelore Brenner-Wonschick, „Die Mädchen von Zimmer 28“, Droemer Verlag 2004
Gerold Paul
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