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Kultur: Die neue Ehrlichkeit?

Brandenburgischer Kunstverein mit „Modell: Verpasste Gelegenheit – Symptome der Überforderung“

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Erst kam die Wende, dann der Aufschwung Ost. Seit einiger Zeit wird auf hohem Niveau gejammert. Kommt jetzt die neue Ehrlichkeit? Soll nun auf die eigenen Fehler gezeigt werden, auf das, was man anders besser gemacht hätte? Dies könnte sich zum Trend entwickeln, scheint es beim Gang durch die Ausstellung des Brandenburgischen Kunstvereins. Dabei sollen und müssen die Arbeiten der 13 Einzelnen oder Gruppen zunächst hinter dem Konzept der Kuratorin Sabine Winkler zurück stehen, das sich bis ins Soziologische, Gesellschaftspolitische und Subjektive weitet.

Der pseudowissenschaftliche Titel „Modell: Verpasste Gelegenheit“ will allzu pädagogisch die Arbeiten umspannen und erklärt im Zusatz, verpatzte Chancen seien „Symptome der Überforderung“. Anders formuliert: Am Mittagstisch war der Arm zum letzten Bissen nicht schnell genug? So einfach darf das natürlich nicht gesagt sein. Die Kuratorin sieht die Ausstellungsbeiträger in „das Spannungsfeld zwischen Kunst und ökonomisch-politischer Realität“ versetzt, um dieses zu untersuchen. Das Konzept scheint sogar speziell auf Brandenburg zugeschnitten, denn es heißt darin: „Wiedervereintes Deutschland, symbolisiert durch das Phänomen Cargo Lifter, und EU-europäische Reformideologiepragmatik repräsentieren den gesellschaftspolitischen Kontext der verpassten Gelegenheiten.“

Trocken und grau ist viele Theorie, zuweilen bunt und manchmal witzig oder originell sind zumindest einige Werke. Bitter humorig, dass Shahram Entekhabi für seine diesjährig entstandene Installation „Head in the Clouds“ Papierflieger aus kopierten Cargo Lifter-Aktien in der Luft schweben lässt – dahin, wo das Projekt zu sehr in den Träumen der Anleger und Manager, aber nicht die Luftschiffe abhoben. Dass es unbedingt 470 Flugobjekte sein mussten – für jeden entlassenen Mitarbeiter eines –, ist kaum nachprüfbar und angesichts der Menge von Fliegern im Schwarzlicht auch belanglos.

In ihrer Einfachheit interessant ist die Foto-Audio-Arbeit von Susanne Hanus. Ihre aus dem Jahr 2003 stammenden „DDR-Indianer“ sind fünf Kästen mit aufgeklebten unscharfen Personenfotos. Über Kopfhörer ist Interviews zum Thema Ost-/Westdeutschland zu lauschen, darunter Aussagen wie „Das Alte wurde beibehalten.“ und „Was nutzt mir die große Freiheit, wenn mir das Geld fehlt, sie mir zu leisten?“. Als Dokumentation der Wohnsiedlung Halle-Silberhöhe ist die Arbeit von Anne König, Axel Doßmann und Jan Wenzel bemerkenswert. Die Installation aus städtebaulichem Modell und Diaprojektoren beleuchtet die Zeit von 1979 bis Ende der 90er . Indem aber hier die reale Entwicklung als Weg verpasster Gelegenheiten bezeichnet wird, stellt sich die ins Triviale zielende Frage: Ob nicht jede ungenutzte Möglichkeit als verpasste Chance zu verstehen ist?

Diese Beliebigkeit kann man dem 2004 entstandenen Video „Der Optionist“ von Frank Westermeyer und Sylvie Boisseau schwerlich vorwerfen. Der junge Mann auf einem überdimensionierten Steinstuhl in einem sonnigen Weimarer Park ist zu gut inszeniert, seine träumerischen Sätze zu klar: „Ich könnte überall hin, ich kann alles machen, zu mir passen alle Frauen ...“ Sollte er – um den Konzepttitel aufzugreifen – wirklich überfordert sein? Verpasst er jede Gelegenheit nicht aus Zufriedenheit mit der Gegenwart und aus Genuss an seinem Müßiggang?

Die in ihrer Absurdität beste Arbeit stammt von Katharina Hohmann und Stefan Dornbusch. Seit 2001 ersteigern sie Grundstücke, die aufgrund ihrer Lage, ihrer Größe oder ihres Zuschnitts als wertlos gelten. Inzwischen sind es drei Flächen. Ein Video gibt wider, wie sie rührend aktionistisch eine davon, einen sichelförmigen, schmalen Streifen zwischen Acker und Straße in der Nähe von Werneuchen, mit orangefarbenem Zaun und fiktiven Werbeplakaten in Besitz nehmen. Gezeigt wird das Ganze im Ambiente eines Büros. Lässt das nicht daran denken, wie professionell, aber doch wahllos alltäglich über häufig nicht nachvollziehbare Wertsetzungen oder Entwertungen von Dingen entschieden wird? Steht am Schluss die Frage: Was bleibt eigentlich von einer verpassten Gelegenheit? Götz J. Pfeiffer

Bis 18. Dezember; Di-So 12-18 Uhr. Am 8. Dezember, ab 19 Uhr Podiumsgespräch mit anschließender Party.

Götz J. Pfeiffer

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