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Umtriebig. „Ich bin noch eine junge Malerin“, sagt Erica Oeckel. Erst mit 40 wagte sie den Schritt in die Kunst.

© Andreas Klaer

Kultur: Die Nomadin

Erica Oeckel zog aus, das Leben zu lernen und erkannte: „Fallen ist keine Schande, aber liegenbleiben“

Stand:

Sie hat den Mut zum Abschied und zur Zerstörung. Und sie akzeptiert die Schmerzen, die dieser konsequente Weg mit sich bringt: wenn man Menschen zurücklässt, Unabsehbares wagt, den möglichen freien Fall in Kauf nimmt. „Das ist die Gefahr, wenn man Neues beginnt.“

Gern zitiert Erica Oeckel das französische Sprichwort „Wer ein Omelett backen will, muss auch bereit sein, Eier zu zerschlagen“. Auch sie zerschlug oft „Eier“: für die Kunst und für ein unabhängiges Leben. Seit sie sich ganz bewusst aus der Enge ihres bayrischen Heimatstädtchens Amberg befreit hat, führt sie ein Nomadendasein, nimmermüde in der Sehnsucht nach neuen Landstrichen, neuen Kontakten. Auch nach 16 Umzügen quer durch Europa – für weiter entfernte Ziele reichte das Geld bislang nicht – ist sie noch immer bereit, den Koffer in die Hand zu nehmen.

Derzeit schwärmt sie allerdings geradezu von ihrer Wohnung im 14. Stock im Hochhaus an der Breiten Straße mit Blick auf die Segelboote in der Neustädter Havelbucht. Endlich keimt so etwas wie ein Heimatgefühl. „Mein Lebensschiff ist schön geankert“, sagt die Frau mit den leuchtend roten Haaren und den bunten weiten Gewändern, an die man nicht vorbeischauen kann. Dennoch räumt Erica Oeckel ein, dass sie morgen auch wieder die Leinen lösen würde, wenn der Ruf ihrer inneren Stimme sie dazu ermahnt. Dieser Seismograf ist die einzige Gewissheit in ihrem Leben.

Die Malerin, die derzeit auf ihren Bildern in der Galerie Matschke Menschen aller Couleur zusammenführt – einsame und gesellige, leise und laute, Gestrandete und Aufbegehrende, sind wohl auch Teil ihrer eigenen Lebensfacetten mit Beulen und Schrunden, Kraftpolstern und Visionen. Die gesichtslosen Frauen auf ihren Bildern, die dichtgedrängt die Tische des Galeriecafés säumen, stehen meist für sich allein, einander abgewandt. Das ist Erica Oeckels Form von Gesellschaftskritik: Dieses nicht mehr aufeinander Schauen. Vor fünf Jahren war noch viel Aggression in ihren Bildern. „Da habe ich gesellschaftspolitisch sehr gespuckt. Doch so ist nicht der Weg.“ Auf das eigene Leben schauen und gucken, dass es gut ist. Mit Eigensinn, doch nicht isoliert. Das ist ihre gereifte Maxime. Sie hat sich auch schon mal für ein Jahr zurückgezogen, sich in eine Kaserne eingemietet und unablässig gemalt, „interessante Bilder. Aber man muss zurückkommen, sonst wird man verrückt.“

Diese Frau mit dem weichen runden Gesicht studiert die Menschen genau. „An ihrer Haltung und an den Bewegungen lässt sich genau ablesen, wie die Seele tickt.“ Und doch bevorzugt sie die Anonymität von Malsälen, arbeitet stets an Modellen. Die schneidet sie aus und fügt sie in ihren Malgrund, bis sie miteinander verwachsen. Collagen, die der Tiefe der menschlichen Existenz nachspüren. Die ständig bewegte Malerin weiß aus eigenem Erleben, was es heißt, einsam zu sein und depressiv. „Ich habe es überwunden und damit ist auch die Angst verschwunden. Was kann noch Schlimmeres passieren, als einen Menschen zu verlieren, den man liebt.“ Erica Oeckel ist zu einer der wilden „Wolfsfrauen“ geworden, über die sie gelesen hat: „In Krisenzeiten hänge ich mir einen eisernen Büstenhalter um, und keiner kriegt einen Tropfen Milch.“ Was sich hart und unnachgiebig anhört, ist einem langen Findungsprozess geschuldet, den die Künstlerin ganz bewusst geht: ohne Ehe und Kinder.

„Schon als ich Anfang 20 war, wusste ich, dass ich keine eigene Familie gründen würde.“ Erica Oeckel erlebte, wie ihre Mutter tagein, tagaus putzte, kochte, die vier Kinder versorgte, ohne je ein Dankeswort zu erhalten. Nicht mal ein eigenes Taschengeld stand ihr zur Verfügung. „Um arbeiten gehen zu können, musste man bis 1968 noch die Einwilligung des Ehemanns vorweisen.“ Da war die Tochter aus anderem Holz geschnitzt. Sich unterordnen, anpassen und nach der Pfeife anderer zu tanzen – das ist nicht ihr Ding. Wenn Erica Oeckel tanzt, dann nach eigenem Sound. Und nach Schallplatten, die sie sich aus der Bibliothek ausleiht und in ihrer lichtdurchfluteten, himmelsstürmenden Wohnung auflegt. „Beim Tanzen richtet sich der Mensch auf und kommt in seine Mitte.“ Und wieder hat die spirituell beeinflusste Frau, die auch mal das chinesische Orakel I-Ging befragt, einen passenden Lebensspruch bereit. „Gott schätzt, wenn ich arbeite und liebt mich, wenn ich tanze“.

Ihre große Schallplattensammlung, die sie einst hatte, ließ sie stehen, als sie mit 40 Jahren ihr Dasein als Sekretärin rigoros hinter sich ließ und den Stress abschüttelte, um nicht auszubluten. „Man kann sein Leben doch nicht auf Urlaube bauen.“ Heute verwöhnt sie sich oft selbst, kauft sich eine Rose, hört Musik, kocht etwas Leckeres – hält Balance, um nicht leer zu werden.

Sie fiel das erste Mal aus dem Gleichgewicht, da war sie 14 und träumte davon, Malerin zu werden. Ihr pedantischer Kunsterziehungslehrer putzte sie indes vor allen Mitschülern runter, als sie einen schwarzen Heiligen König in einem expressiven Gestus aufs Papier brachte, dass das Bild fast aus allen Fugen krachte. „Ich rührte fortan keinen Pinsel mehr an.“ Erst aus der Leere heraus, als sie im Skiurlaub war und es keinen Schnee gab, fand sie wieder Mut zum Malen. Und zu ihrem wilden Gestus. Da war sie Ende 20. Doch erst mit 40 machte sie die Malerei zu ihrem Beruf, konsequent, ohne Wenn und Aber, mit Durststrecken und Höhenflügen. Sie ging 30 Wochen an verschiedene Akademien, suchte sich die besten Meister. „Ganz als Autodidakt schafft man es nicht.“ Inzwischen haben sich Erfolge eingestellt. Auch in Potsdam fühlte sie sich sofort willkommen, bekam Ausstellungen und ein Austauschstipendium der Stadt in die Schweiz. „In der Familie war ich indes lange Zeit das schwarze Schaf. Die hatte Angst, dass sie mich finanzieren müsste. Noch bin ich nicht reingewaschen, aber schon gefleckt“, sagt sie lachend.

Eines ihrer Bilder trägt den Schriftzug „ Fallen ist keine Schande, aber liegenbleiben“. Man sieht eine Figur, zu Boden gedrückt, und spürt die bleierne Schwere. Doch der Arm stemmt sich dagegen, will den Körper wieder aufrichten. „Die Form entsteht nur am Widerstand, den muss ich akzeptieren und kenntlich machen.“

Ausstellung in Matschkes Galerie Café, Alleestraße 10, Finissage am kommenden Sonntag, 15 Uhr

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