Kultur: Die Oberfläche der Urbanität
Die Galerie Euchner zeigt in ihrer aktuellen Ausstellung verschiedene Interpretationen von Stadt
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Ein weißer Schleier liegt wie Nebel über dem Sacrower Palais, über Babelsberg, über der Meierei im Neuen Garten Potsdam. Die Gebäude sind erkennbar, aber nur als vage Schemen. Sibylla Weisweiler verrätselt die Silhouette von markanten Orten, um sie wieder sichtbar zu machen. Der Alte Markt, das Babelsberger Schloss, der Tempelhofer Flughafen. Auf Postkarten, in Zeitungen und Magazinen reproduziert, haben die Bilder der Orte sich längst ins Gedächtnis eingeprägt, bis zu einem Grad, bei dem die wirklichen Gebäude zum Klischee einer Postkartenansicht werden.
Wenn Weisweiler das Bild dem Betrachter entrückt, die Details und die Erkennbarkeit der Architektur verbirgt, weckt sie die Neugierde. Es ist der Kunstgriff des Verbergens des Bekannten. So werden Geburtstagsgeschenke spannend. Die deutsche Geschichte erschien 1995 mit der Verhüllung des Reichstages in ganz neuem Licht. Weisweiler lenkt den Blick weg von der übermächtigen Potsdamer Historie hin zur poetischen Schönheit, die sich erst auf den zweiten Blick erschließt und häufig vom Klischee der Friedrich-Stadt überlagert wird. So schafft sie eine neue Sichtbarkeit.
„Stadt Ansichten“ zeigt die Galerie Euchner in ihrer gegenwärtigen Ausstellung. Es sind ganz verschiedene Formate, mit denen die ausstellenden Künstler sich dem Thema nähern. Während Weisweiler bis zur Unkenntlichkeit vergrößerte und verpixelte Fotos mit Ölfarbe auf die Leinwand bringt, zeigt Tom Korn Teppichvelour, aufgeklebt auf Holz. Häuserfassaden entstehen aus Teppichresten. Was aus unmittelbarer Nähe als flauschiges abstraktes Mosaik oder Raster erscheint, formt sich in einiger Entfernung zu Fenstern und Fassaden. Fragmente einer Stadt erscheinen, aufgelockert durch eingefügte florale Elemente. Vor der Fassade des Corbusier Hochhauses in Charlottenburg ragen Kirschblüten ins Bild. So ergänzen sich die ungewöhnliche Ästhetik der Architektur des Wohncontainers und die natürliche Schönheit der Flora. Heinrich G. Noé collagiert seine Stadt aus Papierfetzen. Die Bilder von Helga Schönfeld erscheinen wie gemalte, verfremdete Stadtansichten, sind jedoch am Computer entstandene digitale Fotografien. Aufwendig gedruckt wirken sie wie Traumbilder.
Euchner zeigt keine Postkartenansichten, sondern Positionen der Künstler, subjektive Interpretationen der Erscheinung von Stadt. So nimmt die Ausstellung auch Stellung zum aktuellen Diskurs über Stadt und Urbanität. Denn was Stadt ist, erscheint längst nicht mehr eindeutig. Seit sich das Leitbilder der „Autogerechten Stadt“ aus den 50er-Jahren verflüchtigt hat, Städte wie Berlin und Potsdam wachsen und viele Bauten der Nachkriegszeit als seelenlose Funktionsarchitektur gegeißelt werden, ist auch eine Diskussion darüber entbrannt, wie Stadt sich gegenwärtig entwickeln kann. Mit einer Exkursion zur „Autostadt Wolfsburg“ möchte die Galerie sich in diesen Diskurs einklinken.
Aber nicht Urbanität und der soziale Organismus der Stadt ist das Thema der Ausstellung, sondern seine Oberfläche, die Erscheinung der Gebäude, der Häuser, der Umrisse. Gerade in Potsdam erscheint das angemessen, denn das sichtbare Potsdam wird diskutiert und neu strukturiert. Das Gebäude der Fachhochschule, das Rechenzentrum, das Hotel Mercure. Die Innenstadt Potsdams liegt in urbanen Wehen, was daraus entstehen wird, beeinflussen die Diskussionen der Bürger, die finanzielle Potenz der Eigentümer und die Ordnungsvorstellungen der Stadtväter.
Die restaurierte Fassade des Stadtschlosses hat die Richtung vorgegeben. Sibylla Weisweiler greift die Diskussion über die Gestaltung Potsdams mit ihren Bildern vom Alten Markt auf. Auch in Potsdam wird sich entscheiden, ob die Diskussion über eine vielfach kritisierte Moderne zu einem restaurativen Gesamtbild der Stadt führen wird, ähnlich wie in anderen Städten. Oder ob Zeugnisse der unmittelbaren Historie eine Chance haben und möglicherweise auch neue architektonische Schritte gewagt werden. Wonach es in Potsdam allerdings gegenwärtig überhaupt gar nicht aussieht.
Richard Rabensaat
Die Ausstellung „Stadt Ansichten“ ist bis zum 9. Juli in der a/e-Galerie zu sehen, Charlottenstraße 13, 14467 Potsdam. Mittwochs bis freitags von 15 bis 19 Uhr und samstags von 12 bis 16 Uhr
Richard Rabensaat
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