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Kultur: Die rettende Alternative
Gretel Schulze und Andreas Zieger starteten furios mit einem neuen Programm im Kabarett Obelisk
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Alle vier Jahre wieder treten Politiker im Vorfeld der Bundestagswahl vor das Volk wie ungezogene Kinder vor den Weihnachtsmann. Sie überschlagen sich mit ihren Versprechen, geloben, nun endlich brav zu sein und nicht mehr zu lügen. Kaum aber sind die Wahllokale geschlossen, zeigen sie meist genau denen eine lange Nase, die sie gewählt haben. Für die beiden Stamm-Obelisken Gretel Schulze und Andreas Zieger ist die Wahl folglich nichts weiter als ein aufgeblasenes „Spektakel, das vorgibt, einen Inhalt zu haben“ und deshalb die Zeit gekommen ist, mit jeweils eigenen Parteien um die Gunst der Wähler zu werben. Mit ihrem neuem Programm „Besser Wahlschlappen als gar keine Badelatschen“, das am Freitagabend im gut besuchten Obelisk-Theater Premiere feierte, stehen ihre Chancen, den regen Zulauf geneigter Bürger zu gewinnen, jedenfalls nicht schlecht.
Denn offenbar sind die Gäste an diesem Abend noch recht unschlüssig, wem von den sogenannten Volks- oder Oppositionsparteien sie ihre Stimme geben werden. So wird es für Gretel Schulze als Parteichefin der „Preußisch Konservativ Korrekten“ (PKK) und Andreas Zieger als Vorsitzender der „Sächsisch-Buddhistischen-Zentrumspartei“ (SBZ) ein großes Vergnügen, ihre Wahlurne aufzustellen und einen Wahlkampf zu betreiben, der fernab der üblichen Phrasendrescherei stattfindet, der nicht nur bestimmte Zielgruppen, sondern alle Menschen erreichen soll und der anstelle des ermüdenden Altmännergezankes auf zungenfertig sprudelnde Dialoge und eine gehörige Portion musikalischer Darbietungen setzt. Nicht zuletzt, um auch den politischen Gegnern mit der Satirekeule gehörig eins überzubraten. „Die Wahl ist eben nicht allein zum Wählen da“, singt Gretel Schulze mit ihrer begnadeten, betörend vollen Stimme, während Andreas Zieger ein ums andere Mal schmissig und virtuos in die Tasten haut und das Publikum sofort mitklatscht und jubelt.
Für ihren erfrischend heiteren Wahlkampf benötigen die beiden Akteure keine Kostüme, und doch sind es mit die Highlights des Abends, als Gretel Schulze mit Schleifchenfächer im Haar und Andreas Zieger mit rotgrüner Narrenkappe in einem furiosen Gesangsduett zum Sturm auf den Reichstag aufrufen oder als Gretel Schulze mit blau glitzernder Federboa, ans Klavier gelehnt, Marlene Dietrichs großen Hit zu einem „Ich bin von Kopf bis Fuß auf große Koalition eingestellt“ uminterpretiert.
Selbstverständlich bleiben die bundesdeutschen Milliardengräber nicht unerwähnt, so auch der Berliner Großflughafen, für den Matthias Platzeck, ohne dass ihn jemand daran hindert, vollmundig und dreist die Verantwortung übernimmt. Spitzzüngig charmant entlarvt Andreas Zieger die Wahlstrategie der Linken und intoniert am Klavier bravourös die Programme der großen Volksparteien. Gretel Schulze berichtet, wie ihr in Brüssel der europäische Gedanke begegnet ist und plaudert später in einer Talkshow, auf der die geladenen Politiker glücklicherweise einen Maulkorb verpasst bekommen, auch mit einem netten Herrn aus dem Publikum über die Sinnlosigkeit von Wahlen. Als nach zwei Stunden all die Langweiler der gegnerischen Parteien mit spielfreudiger Leichtigkeit des Lugs und Trugs überführt sind, werden die Stimmen ausgezählt. Dass die beiden Parteichefs der „PKK“ und der „SBZ“ nach einem so spritzig eloquenten und musikalisch gesättigten Wahlkampf gleich 60 Prozent der Stimmen einfahren, wundert wenig. Als Überraschung aber erweist sich nach dem anhaltenden Schlussapplaus schließlich die Zugabe: der Auftritt einer Angela Merkel, die klar besser singen kann als Lady Gaga.
Daniel Flügel
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