Von Lena Schneider: Die Revolution pennt
Ein ungleiches Paar. Doppelpremiere von „Eine deutsche Revolution“ und „Dantons Tod“ am Hans Otto Theater
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Die „deutsche Revolution“, um die es in einer der Premieren am Hans Otto Theater am Samstag ging, war eigentlich keine. Zumindest wenn „Revolution“ eine unumkehrbare Umwälzung oder Neuerung bedeuten soll. Sie war auch keine deutsche, sondern eine hessische, geschehen und gescheitert um das Jahr 1834. Georg Büchner hat das Streben der hessischen Aufständischen damals in einer berühmt gewordenen Schrift verewigt. „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“, die bekannteste Zeile, ist bis heute Schlachtruf gegen Unrecht und Willkür, der Rest, Büchners Klage über die gescheiterte Französische Revolution, soll unter den Bauern wenig Resonanz hervorgerufen haben. Gebärdet sich Büchner in der Schrift noch ganz als Revolutionär und Kämpfer, so erzählt das Stück bereits von einer tieferen Erfahrung des Scheiterns – nach der französischen war nun auch die hessische „Revolution“ zerschlagen. Zweifelzerfressene Zögerlichkeit statt wütender Wille zur Tat.
Nun hat das Hans Otto Theater sie also nebeneinander gestellt, den Büchner zur Zeit der Revolte und das geistige Kind dieser Erfahrung, seinen „Danton“. Wenig überraschend: Ein ungleiches Duo ist dabei herausgekommen. Der Versuch, eine Linie vom Autor und seinen Impulsen hin zum Werk zu zeichnen, mag ja ehrenwert sein. Aber um beide Teile zusammen funktionieren zu lassen (und so ist das laut Spielplan wohl vorgesehen) hätte man Texte finden müssen, die sich wenn nicht auf Augenhöhe so doch in spielerischer Distanz begegnen. „Eine deutsche Revolution" macht jedoch den Fehler, einen Büchnersch klingenden Duktus zu versuchen. Das kann im Vergleich mit dem Original nur schwächeln. Auch inszenatorisch liegen Welten zwischen den beiden Teilen.
Teil eins ist eine von Wolfgang Ploch gezimmerte Bühnenfassung des Büchner-Romans „Wenn es Rosen sind, werden sie blühen“ von Kasimir Edschmid. Sie erzählt von dem Los des Pfarrers Friedrich Ludwig Weidig, einem Mitstreiter Büchners in der hessischen Revolte. Während der Pfarrer für seine Aktivitäten ins Gefängnis kommt und dort letztlich seinem Leben selbst ein Ende setzt, flieht Büchner ins Exil, wo er „Dantons Tod“ schreibt und bekanntlich lange vor seiner Zeit an Typhus stirbt, dreiundzwanzigjährig. Ulrich Rechenbach ist ein sehr junger Büchner, dem man seine 20 Jahre glaubt, sein Drängen und seine Unruhe. Und vor allem, dass er, wie er einmal sagt, kein Märtyrer sei. Märtyrer ist hier Pfarrer Weidig (Andreas Herrmann). Stehend erst, dann taumelnd, schließlich sich am Boden krümmend hält er die Drangsalierungen des Hofrats (Michael Scherff) aus. In diesem letzten Teil der wenig inspirierten, brav auf die Bühne gestellten Inszenierung (Carsten Kochan), wenn von Büchner keine Rede mehr ist (er ist längst in Zürich), packt dieses kleine Stück dann doch – als Justizdrama und Leerstück über die Willkür eines Rechtsstaats, der keiner ist. Leider nur das letzte Viertel eines Stückes, das bis dahin zwischen turteliger Liebesgeschichte, biederem Sittengemälde und mottenkistengemäßer Revoluzzer-Klamotte schwankt.
Wie anders der „Danton“. Regisseurin Petra Luisa Meyer hatte sich im November an Schiller („Maria Stuart“) verhoben – mit Büchner legt sie nun einen Abend hin, in dem alles funktioniert: das Laute, Übermütige, Überzeichnete, Überfordernde und, viel schöner und schwieriger, das Leise, Kleine, Ehrliche. In „Maria Stuart“ waren die Figuren auf Klischeeformat eingedampft; in diesem luftigen „Danton“ haben alle genug Platz, um beides sein zu dürfen – Typus oder Klamotte und Mensch. Moritz Führmann als Danton prescht da meisterlich voran. Gleich beim ersten Auftritt, unter großen beschwingten Melodiebögen (ein Motiv des Abends), bleiben er und Robespierre (Tobias Rott) im Türrahmen hängen: Hier ist nur Platz für einen. Breit grinsend stellen sie sich vor, Medienclowns beide, ganz in weiß, astreine Showmaster der Revolution. Während Robespierre gepflegt Platz nimmt, sühlt Danton sich vorne auf der Bühne und stopft Salzstangen in sich hinein. Die Reste schnipst er ins Publikum oder guillotiniert sie gutgelaunt auf einem Miniaturschafott. Ob dieser Danton an die Selbstgewissheit glaubt, die er hier vorspielt, ist nicht klar – nur dass er ein Spieler ist, dem eigentlich die Lust am Faxenmachen längst abhanden gekommen ist. „Sie pennt, die Revolution“, heißt es einmal, und Danton könnte sich selbst damit meinen: In seinem weißen Kunstpelz ist er ein müdegewordener Popstar, die großen Gesten, die affektierte Dekadenz ist noch da, aber Liedtexte fallen ihm keine mehr ein.
Das Volk, bei Büchner in einigen Szenen vorhanden, ist hier – eine wunderbare Idee – Helmut G. Fritzsch allein. Stur, in Holzpantinen stakst er ab und an über die Bühne, brummt kurz ins Mikro, jubelt auch mal, wenn er dazu gebeten wird, guckt aber meist unbeteiligt in die Runde. Tobias Rotts Robespierre ist kein Aggressor, nicht einmal ein scharfzüngiger Agitator, sondern letztlich ein ums Überleben bangender, der aus Schwäche heraus große Reden schwingt – einer, der sich für die Rolle des Tugendhaften ebenso bewusst entschieden hat wie Danton für die des hurenden Helden. Im Grunde – und das ist das schöne an Meyers Deutung – verstehen sich die beiden gut: Zwei Pole, die wissen, dass sie einander bedingen. In einer Szene, einem Streitgespräch, sitzen die beiden nebeneinander und unterhalten sich, ruhig, gelassen, zwei alte Kumpels, die noch nicht ahnen, dass die Kumpanei bald vorbei ist. „In gewissen Zeiten ist Laster Hochverrat“, sagt Robespierre dann, fast schüchtern, erstaunt – und spricht dabei Dantons Todesurteil. Damit ist die Zeit der Dualität vorbei. Robespierre kann nicht zurück, wird Danton hinrichten lassen und, nach Ende des Stückes, auch selber draufgehen. Diese tragische Unvermeidbarkeit, die sich nur mit Komik ertragen lässt, das Unentrinnbare einer Handlungskette, die man zwar in Gang gesetzt hat aber nicht bestimmen kann, damit spielt dieser „Danton“. Schmissig, wie oft bei Petra Luisa Meyer; aber auch so zart und aufrichtig wie selten.
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