
© Manfred Thomas
Kultur: Die schönste Bescherung
Vorweihnachtszeit im Kabarett Obelisk: Die Premiere „Wir schenken uns nichts“ von Ranz und May
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Manches kann gar nicht früh genug beginnen. Dass Michael Ranz und Edgar May an einem milden Herbstabend Weihnachtslieder singen, ist durchaus nicht komisch oder ungewöhnlich. Längst ist man ja daran gewöhnt, bereits im Hochsommer die ersten Lebkuchen und Spekulatius zu verzehren, auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken konsumverdummt durch die Kaufhäuser zu irren und alsbald schneeflöckchenumkränzte Werbeprospekte in seinem Briefkasten zu finden. Wer also im Oktober auf das Christkind wartet, wartet nicht zu früh.
Schlau genug sind da Ranz und May am Freitag und läuten im restlos ausverkauften Obelisk Theater mit der Premiere ihres neuen Kabarett-Programms „Wir schenken uns nichts“ nicht nur die Adventszeit, sondern auch gleich schon die Bescherung ein: Sie beschenken ihr bestens gelauntes Publikum mit einem zweistündigen fantastischen Auftritt.
Gegenseitig wollen sie sich jedoch nicht beschenken, die beiden Herren im feinen Zwirn, die sogleich ein schönes Lied über die alljährlich verfehlten Geschenkideen singen. Nicht nur Socken, Krawatten oder Toilettenseife zählen dazu; als Gipfel der Hilflosigkeit werden vor allem die leidigen Geschenkgutscheine beklagt. Das Thema hat sich für die beiden also erledigt.
Allein weil das Kabarettduo seit 15 Jahren gemeinsam auf der Bühne steht, möchte Ranz eine Ausnahme machen und seinem Kompagnon May, anlässlich dieses Jubiläums, zumindest eine Beschneidung schenken. Denn was solle man einem schenken, der doch alles hat. May, hinter seinen zwei Synthesizern, erbleicht, protestiert und tritt nicht nur hier aus seiner bewährten Rolle des musikalischen Begleiters und Stichwortgebers heraus. Nicht ohne Grund, wollen die beiden das Weihnachtsfest in diesem Jahr doch schließlich zusammen verbringen. Nur möchte der eine unbedingt seine Mutter einladen, der andere seine Kinder aus erster Ehe, und die aufgestellten Spielfiguren zeigen bereits an, in welches Chaos das Ganze münden wird.
Ansonsten harmoniert das Duo in seinem mittlerweile 11. Programm geradezu perfekt, legt May das tadellose musikalische Gewand um die allesamt bravourösen Gesangsnummern seines Partners Ranz. Der brilliert wie immer mit seinem tiefen Edeltenor, seiner lässigen Körpersprache und besonders mit seiner schier endlos wandlungsfähigen Mimik. Souverän schauspielert er sich durch all die Rollen innerhalb der dem festlich besinnlichen Rahmen angepassten Themenpalette, die von den Missverständnissen zwischen den Geschlechtern über Altmänner- oder Tuntenparodien bis hin zur Ost-West-Befindlichkeit reicht, hingegen das aktuellpolitische Geschehen verständlicherweise fehlt und auch nur hie und da das Zotige aufblitzt.
Vielmehr wird an diesem Abend offenbar, wie sehr doch gerade die Männer unter Weihnachten leiden und dieses Fest in einer Art „Duldungsstarre“ aushalten müssen. So haben die Leute im Saal auch ihren großen Spaß, als Ranz einmal hemdsärmlig dasteht, sich eine Bierflasche öffnet und mit wackligem Körper und lallender Stimme ein Silvestersauflied herausgrölt, das sich beinahe anhört wie eine Mischung aus Keimzeit und Guns N’ Roses. Und nicht wenige feixen begeistert und bejubeln ihn, als er einen seltsam cholerischen Nostalgiker mimt, der ein buchstäblich brüllendes Plädoyer für das Wurstbrot hält. Über die Zeiten hinweg habe sich die einfache Stulle, mit guter Butter und noch echter Leberwurst bestrichen, erhalten. Bis eines Tages ein Idiot auf die Idee gekommen sei, Mayonnaise, Salatblätter und Tomatenscheiben obenauf zu packen, sodass man nun in einen Komposthaufen beiße. Bäcker, die so etwas anböten, so der Wüterich, sollte man zwingen, ihre Erlebnisvitrinen alleine leerzufressen.
Aber auch in einige bekannte Rollen schlüpft Ranz an diesem Abend wieder. Mal ist es der Schwule, der sich zwar schon „sooo“ auf Weihnachten freut, nicht aber auf die vegane Ente mit Reis. Mal ist es der Nylonbeutel schwingende Ossi, der sich über das Shoppen aufregt, sich über die Formulierung „zwischen den Jahren“ wundert und sich über die Kuschel-Pädagogiker an heutigen Schulen lustig macht. Und natürlich glänzt Ranz auch wieder in seiner viel belachten Paraderolle des röhrend grantelnden Opas mit Schiebermütze und Krückstock. Traurig berichtet er diesmal von den „Igelschnäuzchen“ seiner Frau und seinen Erlebnissen im „Schwinger-Club“, wo unten herum alle rasiert gewesen seien. Zu seiner Zeit habe es da mehr Lametta gegeben. Doch seien zu Weihnachten die Menschen schließlich alle gleich. Ihm zumindest, fügt der Alte unter dem Gejohle des Publikums an, bevor er das Tanzbein schwingt zu einem der oft herrlich verballhornten und stets recht ausgewogen eingestreuten Weihnachtsliedern.
Fast versteht es sich von selbst, dass Ranz und May am Ende dieses großartigen Kabarett-Abends nicht ohne Zugaben, darunter auch ihren Klassiker „Uschi“, von der Bühne gelassen werden. In eine Vorweihnachtszeit, die also schon längst begonnen hat.
Die nächsten Vorstellungen von „Wir schenken uns nichts“ im Obelisk finden am 29.10. und am 05.11., jeweils 19.30Uhr statt. Der Eintritt kostet 17, ermäßigt 12 Euro.
Daniel Flügel
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