Kultur: Die Schreibschwestern
Heute lesen die Autorinnen von Cafésatz im Café Kieselstein: Ihr drittes Jahrbuch liegt druckfrisch vor
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Sie halten Kritik aus, ja, sie suchen sie. Deshalb sitzen sie Montag für Montag beisammen. Im Café. Sie nehmen ihre Texte „auseinander“, klopfen ab, ob sich Weitschweifigkeit, Klischee oder gar Kitsch eingeschlichen hat: Nicht umsonst nennen sie sich „Cafésatz“. Derzeit sind sie zu viert, ein fünftes „stilles“ Mitglied macht gerade Babypause. Eine Anzeige in der „zitty“ brachte sie vor sechs Jahren zusammen. „Wirklich erfolglos ist nur die Schriftstellerin, die nicht schreibt“ hieß es in dem Inserat, das ihren Nerv traf. Aufgegeben von einer Frau, die nicht mehr dabei ist. Sie alle schrieben bereits, vor allem journalistisch. Nun aber wollten sie sich literarisch äußern, so professionell wie möglich.
„Uns ging es nicht ums Schreiben als Selbsterfahrung, sondern als ästhetischen Prozess“, sagt Anja Manz. Die Hessin lebt seit 1994 in Potsdam und ist die einzige unter den Vieren, die eine langjährige Beziehung und Kinder hat. Um Familie und Arbeit unter einen Hut zu bringen, arbeitet sie freiberuflich bei Antenne Brandenburg und macht dort vor allem Redaktionsdienst. Schreiben ist für sie ein Kindheitstraum, und so freut sie sich jeden Montag, wenn sie wieder zu ihren „Schreibschwestern“ nach Berlin fährt. Das Wort Schwestern stammt von ihrem Sohn. „Es trifft genau den Kern: Wir sind alle Eigenbrötlerinnen, die nicht ihre Herzensfreundin in der Gruppe suchen. Aber wir nehmen großen Anteil aneinander“, sagt die Südtirolerin Michaela Heissenberger. Ihre Begegnungen sind persönlich, aber nicht privat: Die Frauen gehen mit größter Achtsamkeit miteinander um, wissen, dass man sehr schnell sehr viel zerstören kann. Jedes Gruppengeklüngel oder gar Kaffeegetratsche vermeiden sie konsequent, nur deshalb konnte diese für sie so wertvolle Arbeitsfreundschaft so lange halten.
Zu Cafésatz gehört auch die Schweizerin Ingrid Kaech, die zehn Jahre Schauspielerin war, dann Regie führte und sich immer mehr ins Hinterland der Bühnenwelt zurück zog, um nunmehr Texte fürs Theater zu schreiben: sehr dramatische. „Bei mir stirbt man gerne“. Sie lässt ihre Helden jetzt auf der „SchreibBühne“ Leidenschaften ausleben. Derzeit geht es bei ihr aber vor allem um Schuld und Sühne. Das hat sicher mit ihrer Arbeit in der Justizvollzugsanstalt zu tun hat, in der sie eine Kulturgruppe leitet. Ingrid kennt es vom Theater: Dinge auszuprobieren, zu verwerfen und auch Kritik auszuhalten. „Natürlich sind wir, wie alle Menschen, empfindsam und eitel, und Kritik tut immer auch weh. Aber ohne sie wird die Arbeit nicht besser. Und wir versuchen sie so professionell wie möglich auszuüben, um beim anderen keine Schreibblockade zu verursachen.“ Da ist ihnen auch Katarina Pollner eine große Stütze: die Bayerin, die 1984 nach Berlin „flüchtete“. Sie arbeitet im Lektorat und betreut wissenschaftliche Publikationen. Katarina hat ihren ersten Roman fertig und schreibt bereits an einem zweiten. Noch sucht sie einen Verlag.
Michaela Hassenberger fand indes in Innsbruck einen, der ihre Geschichte drucken wird: die Geschichte ihrer Straße, in der sie aufgewachsen ist. „Straßen im Gebirge sind etwas anderes als in der Ebene, sie sind die einzige Möglichkeit rauszukommen.“ In Südtirol erhält sie auch ein Stipendium, „was in Berlin viel schwieriger wäre, weil es dort so viele kreative Menschen gibt.“
Anfangs haben die Frauen gar nicht an Veröffentlichung gedacht: Inzwischen arbeiten sie zielgerichtet darauf hin. Schon allein ihr Jahrbuch – zur heutigen Lesung im Café Kieselstein liegt das dritte druckfrisch auf dem Tisch – fordert Kontinuität. Auch die Lesungen machen ihnen Mut. „Immer wieder sagen uns vor allem Frauen, dass sie unsere Geschichten sehr berühren.“ Dieses emotionale Reagieren bestärkte die Autorinnen, die Öffentlichkeit zu suchen, die sie anfangs noch so scheuten, so Anja Manz.
Für ihre Cafésatz-Geschichtensammlung rund ums Auto – „Automobil und Sentimental“ – haben die Frauen einen Agenten angeheuert, der nun einen Verlag suchen soll. Aus dieser Anthologie liest Anja Manz heute die Geschichte eines Ehepaars, das fast wortlos darüber verhandelt, welchen Weg es nimmt. Ingrid Kaech liest ihre Los-Geschichten, die sich tief drinnen im Menschen abspielen: gedankenlos, leidenschaftslos, mutlos, schwerelos ... Und Katarina entführt in eine etwas surreale Welt, die wie ein Traum anmutet: in den Zug mit ihren „Schaffnern“. Die Welt des Glimmers, wie sie ihr auf der Berlinale begegnete, beschreibt Michaela Heissenberger. Zu Fotografien schrieb sie Porträts von Menschen, die etwas von diesem Glimmer abbekommen möchten: über den Partylöwen, den Journalisten. „Sehr kurze Texte, wie immer bei mir.“ Die Frauen, die ein-, zwei Mal im Jahr übers Wochenende zum intensiven Schreiben aufs Land fahren, hatten schon des öfteren versucht, ihren Kreis zu erweitern. Es scheiterte. „Sicher weil wir zu sehr aufeinander eingeschworen sind. Da hat es jede Neue schwer. Die Runde ist wohl doch komplett.“
Konkurrenz sei für sie kein großes Thema. „Sicher, wenn die eigene Arbeit nicht vorankommt, wenn Selbstzweifel die Überhand gewinnen und Anerkennung von der Welt da draußen unerreichbar scheint, fällt es nicht leicht, sich mit der anderen zu freuen, die Lob geerntet hat, finanzielle Förderung oder gar eine Veröffentlichung. Aber der Neid hat es schwer, denn die Texte, die es geschafft haben, sind doch alte Bekannte. Wir haben mitgeholfen, sie in die Welt zu holen“, schrieben die Frauen ins Vorwort ihres Jahrbuchs Nr. 2. „Wir kommen uns nicht ins Gehege“, betonen sie. Das klingt nach Abgrenzung, aber auch nach vertrauter Nachbarschaft, nach einem Miteinander.
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