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Der Stein ist Sigrid Beckers langjähriger Wegbegleiter.

© Hermann Spörel

Von Almut Andreae: Die Seele des Steins befreien

Die Bildhauerin Sigrid Becker arbeitet in der Abgeschiedenheit der Groß Glienicker Waldsiedlung

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Auch Steine haben ein Innenleben. Doch behalten die meisten ihr Geheimnis für sich. Es braucht einige Erfahrung, den Steinen schon von außen anzusehen, was sich hinter ihrer schroffen Schale verbirgt. Neben Geologen und Mineralogen haben auch Steinbildhauer die nötige innere Antenne. Auch Sigrid Becker, Bildhauerin aus Berlin, hat ihn, diesen heißen Draht. Zum Stein ist sie vor mehr als 20 Jahren, damals als Gaststudentin an der Hochschule der Künste (heute UdK), Berlin gekommen. Hier lernte sie: Stein ist mehr als Material, ist gewachsene, lebendige Materie. Der Respekt, mentale Verbeugung vor dem Stein, den Sigrid Becker von ihrem japanischen Bildhauer-Professor Makoto Fujiwara vermittelt bekam, ist ihr seither in Fleisch und Blut übergegangen. Von ihren verschiedenen Begegnungen mit dem Stein kann die gestandene Bildhauerin viele Geschichten erzählen.

Tonnenschwere Findlinge, weißer Marmor und immer wieder das Millionen alte Schiefergestein legen in ihrem Werk eine sinnliche Erfahrungsspur. Insbesondere mit dem Schiefer fühlt sich Sigrid Becker, die an der Mosel aufwuchs, innerlich verbunden. Schiefer gibt es in ihrer Heimat auf Schritt und Tritt. Dass sich mit ihm auch bildhauerisch arbeiten lässt, hat die Künstlerin nach und nach für sich herausgefunden. Je dichter und kompakter die Schieferlagen, desto besser lässt sich bildhauerisch mit ihm arbeiten. Mit Kreissäge und Schleifmaschine rückt die Bildhauerin ihren Steinen draußen vorm Atelier zu Leibe. Da kommt ihr die gute sportliche Kondition schon sehr zu pass.

In der Abgeschiedenheit der Groß Glienicker Waldsiedlung, wo sie in Gemeinschaft von etwa 20 weiteren Künstlern arbeitet, stört es nicht, wenn es mal laut wird und Funken in alle Richtungen sprühen. Eine überraschende Entdeckung, wenn man gerade ihre Schieferarbeiten betrachtet: nach dem letzten Feinschliff vermag der polierte Schiefer selbst Marmor das Wasser zu reichen. Im Vergleich fühlt sich die polierte Schieferoberfläche sogar fast noch seidiger an.

Das Berühren der Steine im Atelier von Sigrid Becker ist eindrücklich erwünscht. Der eigentliche Kontakt zum Stein findet erst wirklich durch die sinnliche Erfahrung seiner spezifischen Beschaffenheit statt. „Ich versuche, die Seele des Steins zu befreien“, so das Lippenbekenntnis der Bildhauerin. Auf dem Weg dahin dringt sie behutsam, Schicht für Schicht, zum Kern und Wesen des Steines vor. Von technischen Dingen lässt sie sich in dieser Phase noch am wenigsten leiten. Im Zentrum steht vielmehr die einzigartige Charakteristik des Steins. Sigrid Becker reagiert auf das, was ihr der Stein vorgibt. Im bildhauerischen Prozess möchte sie seine Wachstumsstrukturen sichtbar machen. Den Stein in eine festgelegte Form zu zwingen, ist für sie ein Tabu. Ein bisschen Zufall, ein bisschen Überraschung ist bei der Gestaltfindung des steinernen Gegenübers in jedem Falle mit im Spiel.

Das Werk Sigrid Beckers reicht von der Kleinskulptur bis zum aufwändig realisierten Zen-Garten, für den die Künstlerin von der Insel Rügen riesige rote Findlinge heranschaffte.

In ihrem Bildhaueratelier stehen die fertigen Arbeiten aus Granit, Marmor und Schiefer sowie Findlinge in friedlicher Eintracht nebeneinander. Die Formensprache von Sigrid Becker ist reduziert: nichts soll von der Individualität des einzelnen Steines ablenken. Materialeinschlüsse, Einlagerungen und versteinerte Schichtungen erzählen dem, der es hören will, ihre Geschichten.

Auch eine Skulptur aus Holz hat sich unter die Kameraden aus Stein gemischt. Mit Holz arbeitet Sigrid Becker annähernd so lange wie mit Stein. „Der Stein ist ja sehr langatmig “, beschreibt sie ihre zum Teil langjährigen Wegbegleiter. Das Arbeiten mit Holz führt schneller zum Ergebnis. Wie es aussieht, kehrt Sigrid Becker dann doch sehr bald wieder zu ihren Steinen zurück.

Almut Andreae

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