Kultur: Die Sehnsucht hat traurige Gesichter
Heute im Filmmuseum: „Invisible – illegal in Europa“
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Heute im Filmmuseum: „Invisible – illegal in Europa“ Zakaris Augen sind wie tiefe traurige Brunnen. Wenn er von seiner Mutter spricht, verwässert sich der Blick, schlägt die Sehnsucht schwermütige Kreise. Der weich und verletzlich wirkende Zakari ist ein desertierter algerischer Offizier. Um nicht auf seine Brüder schießen zu müssen, verließ er vor zehn Jahren sein Land und lebt seitdem in Deutschland. Illegal – ohne Zuhause, ohne Familie, ohne Frau, ohne Kinder, ohne Arbeit. Dafür mit Angst, Angst, zurück zu müssen, als Deserteur zu hohen Haftstrafen oder gar zum Tod verurteilt zu werden. Seine Klage gegen eine Ausweisung aus Deutschland wurde 1998 abgewiesen. Seitdem schlägt er sich durch, „wie ein Vagabund“. Manchmal hat er Glück, findet für eine ganze Woche Arbeit. „Dann feiere ich ein kleines Fest, ganz für mich, gehe Essen und Trinken.“ 10, 15 Euro lässt er sich diese seltenen Momente des Trostes kosten. Alles, was Zakari wollte, war leben. Der Preis, den er dafür zahlen muss, ist hoch. So wie bei Malika aus Tschetschenien, Prince aus Nigeria, Oumar aus Guinea-Bissau oder Edita, die Transsexuelle aus Ecuador. Der Regisseur Andreas Voigt hat diese mutigen und Hilfe suchenden, sehnsuchtsvollen und enttäuschten Menschen mehr als ein Jahr begleitet und ihre aufwühlenden Geschichten zu dem Film „Invisible – illegal in Europa“ verdichtet. Fernsehbilder kommen in Erinnerung, die eine Gruppe junger schwarzer Männer zeigen, die von Greenpeace im Meer aufgelesen und nach Italien gebracht wurden. Doch niemand wollte sie. Oumar könnte einer von ihnen gewesen sein. Er steht vor dem aufschäumenden Meer, keine 25 Kilometer trennen ihn von Europa. Er hat einen weiten Weg hinter sich, durchquerte die Wüste, schwamm mit aufgebundenen, ihn tragenden leeren Plastikkanistern im Dezember durchs kalte Wasser. „Ich bin aus Afrika, ich bin gezwungen, etwas zu riskieren. Ohne Risiko gewinnt man nicht.“ Doch jetzt sitzt er in dem Durchgangslager Ceunta – einer spanischen Enklave in Marokko – fest und sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. „Ich denke nur an Europa. Ich sehe mich im Café sitzen, habe Arbeit und Geld und kann meine Familie anrufen. So stelle ich mir mein Leben vor.“ Oumar lässt seinen Blick über die Wellen des Meeres schweifen. Die klagenden Töne der Klarinette tragen seine Wünsche über das trennende Wasser. Mag Oumar vielleicht ein „Glücksritter“ sein, getrieben von der Armut und den Kämpfen im eigenen Lande und der Illusion von einer heilen Welt – durch ihn bekommt die Sehnsucht und die Willenskraft ein Gesicht. Oumar gelingt es, nach Barcelona zu kommen. Doch schnell merkt er: „ Du bist erst in Europa, wenn du Papiere hast.“ Malika bekommt Papiere – nach einer langen Zeit der Ungewissheit. Sie verließ Moskau, gleich zu Beginn des Tschetschenienkrieges. Sie suchte in Moskau nach Verbündete gegen diesen sinnlosen Krieg. Dann kam die Geheimpolizei und durchsuchte ihre Wohnung. Sie tauchte unter, ging mit ihrer Familie nach Polen. Jetzt steht Malika mit ihrer Tochter am Herd, hat ein kleines Bistro in Warschau und wartet auf Gäste. Meist vergeblich. „Vielleicht komme ich noch einmal in meine Heimat.“ Wenigstens sterben möchte sie dort. Für sie ist dieser Krieg unbegreiflich: „Wie kann man im 20. Jahrhundert noch so etwas anrichten? “ Malika hat nur die Hoffnung, dass die Politiker, die den Krieg begannen, ihn auch wieder beenden. Auch Zakari versucht sich im Zwiegespräch Mut zu machen: „Mutter, sei nicht traurig. Allah, gibt uns Geduld, in seiner Hand liegt alles. Vielleicht wird ja zu Hause wieder alles gut, sind nicht mehr so korrupte Leute an der Macht. Dann kann ich zurück kehren, und wir leben zusammen, bis Allah uns trennt.“ Seinen Vater hat er nicht mehr sehen können. Heidi Jäger Der Dokumentarfilm läuft heute 20 Uhr. Anschließend Podiumsgespräch mit Regisseur Andreas Voigt und Annette Flade, Flüchtlingsseelsorgerin der Evangelischen Kirche Potsdam.
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