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Kultur: Die singende klingende Insel

Musikfestspiele luden zur Hochzeit zwischen den Künsten der blühenden Natur und der Menschen

Stand:

Musikfestspiele luden zur Hochzeit zwischen den Künsten der blühenden Natur und der Menschen Potsdam lag vorn und Bonn lag dahinter, wenigstens am äußersten Zipfel der Freundschaftsinsel, wo sich am frühen Abend des Samstag das wundervolle Alphorn-Quartett der Weimarer Staatskapelle eingerichtet hatte. Während man mit behutsamem Ansatz Mechura oder Duvernov gab, paukten sich Ruderboote mit ziviler Besatzung im Wettkampf heran: Schlag – durchziehen, Schlag – durchziehen. Das brachte die Bläser zwar leicht aus dem Takt, aber live ist eben live! Alles war live und leicht und schön an diesem lichten Abend, welcher das Eiland mit Bedacht und Gefühl in eine singende, klingende Insel verwandelte. Geschäftsführerin Andrea Palent hatte mit diesem Extra-Beitrag zu den Musikfestspielen einen lang gehegten Traum verwirklicht: Die Künste der blühenden Natur und jene der Menschen sollten Hochzeit halten, ohne Lärm und aufwändige Technik. Ihr Konzept der „Klingenden Garten(t)räume“ ging auf. Wer die Insel Karl Foersters so noch nicht sah, noch im Hellen und in der wunderbar dezenten Illumination der schönklaren Nacht, wo bei jeder Schmusebank zwei Kerzen angezündet waren, jede noch so versteckte Skulptur beleuchtet wurde, bunte Lampions in Bäumen hingen, weiße Hera Cleum mit dem stolzen Herculeum um die Wette blühte, blauer Storchschnabel sich an hohen Diptam schmiegte, den berührte die Schönheit dieses langen Augenblicks. Einfach majestätisch. Für jeden Geschmack war etwas dabei. Während ein Weimarer am Inselspitz erklärte, wie man das in der Renaissance-Musik so beliebte Gemshorn fertigt, hörte man am anderen Ende, unter der mächtigen Linde, die Potsdamer Turmbläser. Etwa drei Meter hohe Stelzenläufer zeigten in schönen Kostümen erhabene Spiele. Zu den „Schatten-Protokollen“ Georg Anderhubs im Pavillon ging es modern zu: Hella von Ploetz und Thomas Kumlehn gaben mit „Thine“ auf Glasharfe und mit Querflöte/Saxophon ihr Sphärenkonzert. Davor hielt sich der Vokalkreis von Matthias Jakob bereit, Volks- und Kunstlieder aus mehreren Jahrhunderten A capella zu singen. Schön, alles war schön, das Nahe und das Ferne, das Alte und das Neue. In weiser Selbstbegrenzung war die Besucherzahl auf maximal 800 festgelegt, so konnte man sich genussvoll ergehen, und mit schwindendem Licht wurde das Baumwerk immer erhabener. Am Foerster-Denkmal unter blühender Linde improvisierte Wolfgang Zechlin jazzige Themen auf einem Flügel, am Café gab MALAHIT, drei junge Musiker, die viel Wert darauf legten, in der Sowjetunion geboren zu sein, mit Csardas, Tango, russischem Volkslied und Zigeunerweisen ein so prachtvolles Konzert, dass eine schmucke Jacht an der Alten Fahrt nicht nur stehen blieb, sondern, ungelogen, rückwärts fuhr. Der Geiger war einfach virtuos. Und nirgends anders als im blühenden Rosengarten las Andreas Hueck von Poetenpack Oscar Wildes Märchen von der Nachtigall und der Rose, wo Liebe und Tod so nahe beieinander stehen, dass ein trauriger Sprosser sein Lied dazu sang. Richtig unheimlich. Abends wandelten die Stelzen mit Fackeln durch kerzenerleuchtete Wege, plötzlich und traumhaft tauchte eine fahlweiße Gesellschaft auf, als sei sie Bettinas „Frühlingskranz“ entstiegen - das Weiße Theater des Hackeschen Hoftheaters Berlin in Zeitlupe. Phantastisch! Vom mit Japan-Lampions geschmücktem Info-Häuschen her hörte man die schönherbe Stimme der polnischen Sängerin Dorota Szewczyk russische, jiddische Lieder singen, begleitet von Konstantin Popow aus Russland auf der Gitarre, auf der „Harmonie-Wiese“ nebenan gab sich, indes jetzt die Frösche auch konzertierten, noch einmal das Ensemble Alta Musica mit klassischen Klängen die Ehre. Nur die Klang- und Lichtinstallation (Christina Siegfried, Stefan Dietrich) an der Wassergarten-Pergola hielt sich ob ihrer ausgesprochenen Dezenz etwas zurück. Bei so viel Schönheit zeigte sich auch der Himmel geneigt, die Sterne standen in Klarheit. Ob nun das Bonner Boot siegte oder der abgeschlagene dritte Kahn „Voltaire“, bleibt ungewiss. Potsdam hat, spätestens zum Mitternachtsblasen, mit seiner singenden, klingenden Insel gewonnen, der wirklichen Mitte der Stadt. Gerold Paul

Gerold Paul

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