Von Heidi Jäger: Die Stille und der Klang
Das Integrationstheater Teufelssee spielt „Hase Hase“: Eine Familienkomödie in schweren Zeiten
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Sie wird auch ein kleines Tänzchen wagen: mit Vater Hase, ihrem Mann. Die ganzen Katastrophen werden sie feiern und dass sie trotz allem zusammenhalten. Sabine Pfeifer spielt die Mutter in „Hase Hase“, der turbulenten Familienkomödie in schweren Zeiten von Coline Serreau, die am Samstag im Haus der Begegnung Premiere hat. Ein Jahr haben sie im Integrationstheater Teufelssee daran geprobt: elf Menschen zwischen 15 und 60 Jahren, mit und ohne Behinderung. Und alle mit anderen Begabungen, wie Sabine Pfeifer sagt. Denn auch wenn sie körperlich eingeschränkt ist, versteht sie es bestens, mit ihren wachen Sinnen, die Welt zu bereichern. „Meine Sterne stehen gut, weil ich sie anlächle.“ Ein Satz, den sie gerne wiederholt.
Sabine Pfeifer hat in „Hase Hase“ eine besonders große Rolle übernommen. Und sie hat es geschafft, die 75 Minuten beim ersten Durchlauf durchzustehen. Die Stimme hat nicht versagt, obwohl sie auf den ersten Metern etwas viel Pulver verschossen hat, wie Regisseur Axel Tröger anmerkt. Doch die Freunde, die zur öffentlichen Probe kamen, hätten viel gelacht, freut sich Sabine Pfeifer. Und genau das ist es, wofür sie Theater so liebt: „Man kann singen und tanzen, bis es kracht, und für eine Stunde die eigene Bitterkeit vergessen.“ Es ist das erste Mal, dass sie mit ihrem Integrationstheater nach einer bestehenden Vorlage spielt, eine, die die Behinderung nicht thematisiert. Dafür die Solidarität.
Als Mutter Hase denkt, ihre fünf erwachsenen Kinder sind endlich gut versorgt, kehren sie arbeitslos wieder nach Hause zurück, bis die Wohnung fast aus den Nähten platzt. Doch Mutter Hase hält ihre Gluckenflügel schützend über ihre „Brut“, steht auch zum großen Sohn, als die Polizei ihn sucht. Sabine Pfeifer kennt die ganze Palette mütterlicher Gefühle. Sie weiß, wovon sie spricht. Schließlich ist sie selbst Mutter von drei Söhnen, von denen der Älteste im Alter von drei Jahren starb. Auf seinem Grabstein ist zu lesen: „Du siehst nur mit dem Herzen gut.“ Der Satz des Kleinen Prinzen, den sie sehr verinnerlicht hat.
Sabine Pfeifer steckt mitten in ihrem zweiten Leben, nachdem sie vor zehn Jahren eine schwere Hirnblutung hatte und kaum Aussicht auf Rettung bestand. Fünf Wochen lag sie im Wachkoma, konnte nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, nicht mehr laufen. Die Kunst führte sie zurück ins Leben: Musik, Malerei und der Geruch der Felder, den die Freunde mit ins Krankenhaus brachten. „Mit dem Malen kam das Sehen.“
Heute pflanzt sie wieder selber Bäume, so wie sie es ihr Leben lang tat, vor allem als Bio-Bäuerin auf ihrem Ahornhof in Töplitz. Diese Wurzeln sind gekappt. Doch sie schlägt neue: auf Hermannswerder in einer betreuten Wohnung in der Hoffbauer-Stiftung. In ihrem sonnendurchfluteten geräumigen Wohnzimmer singen die Wellensittiche genauso putzmunter wie Sabine Pfeifer erzählt. Hält sie inne, verstummen auch die Vögel. Denen möchte sie als nächstes ein Spaßbad bauen, mit Kräuteressenzen zum Planschen. Gleich neben ihrem großen Hibiskus, der sich genauso wie sie der Sonne entgegenstreckt. Nur eine Ziege würde die 56-Jährige gern noch haben.
Sabine Pfeifer war einst Schäferin, zweimal sogar DDR-Meisterin, wie sie stolz erzählt, bevor sie Veterinäringenieurin für industriemäßige Tierproduktion wurde und für die künstliche Besamung der Schafe im Bezirk Potsdam verantwortlich war. „Ich habe für das Wohl und Wehe aller Schafböcke gesorgt und die Lämmer mit Pipette gezeugt“, erzählt sie launig. Als ihre Kinder kamen, schwenkte sie auf Obstanbau um und kümmerte sich nebenher um die Pflege der Oma. Später wirtschaftete sie auf ihrem Biohof, fuhr mit dem Traktor über die Felder, versorgte das Vieh. Auch nach der Scheidung. Dann kam 2001 „das schadensstiftende Ereignis“.
Den Erlös ihres Hauses steckte Sabine Pfeifer in die Patenschaft eines südafrikanischen Kindes. „Der Junge hat eine Chance bekommen und jedes Jahr schickt er Bilder, die mir Kraft geben. Jedes Lebewesen hält das andere.“ Ihr kleines blaues Schiff „New Born“ fährt mit, wenn Sabine Pfeifer auf Lesungen geht und um Spenden bittet. Die Post ihrer Patenkinder, für die sie Englisch lesen gelernt hat, gehören mit zu den vielen Schätzen, die sie sorgfältig sortiert in ihrem schweren verzierten Holzschrank aufbewahrt. Ihr größter Schatz ist indes ein schwarzer kleiner Koffer: ihr „Theater“. Sie klappt ihn auf und stellt ihre Protagonisten vor: den „großen Zuhörer“ mit einem wundersamen „Ohr“, wie sie den abgefallenen Baumzapfen nennt. Oder ihren „Singenden Fisch“, der für sie die Antwort auf das Echo der Stille ist. „Ich war so lange im Nichts, dass das Schweigen eine eigene Qualität bekommen hat. Und nach dem Klang greift.“
Sie zauberte einen ganzen Lessing aus dem Koffer hervor: Den jungen Gelehrten. Und jedes Jahr kommt ein neues Stück dazu, zusätzlich zum Spiel im Integrationstheater.
Sabine Pfeifer versorgt mit ihrer rollenden Ein-Frau-Bühne Menschen mit Theater, die nicht mehr vor die Haustür gehen können, wie aus dem Altenheim auf Hermannswerder. Und wer nur jemanden braucht mit „großem Ohr“, dem hört sie auch geduldig zu. Jeder Tag ist gefüllt mit einer neuen Aufgabe: Sie ist Lesepatin für geistig behinderte Frauen, übernimmt die Korrespondenz für Menschen, die nicht mehr sehen können. Und immer wieder spielt sie Klavier. „Bei der Musik entstehen meine Gedichte.“
Jetzt aber halten sie die Proben zu „Hase Hase“ im Griff, gefördert durch die Deutsche Behindertenhilfe „Aktion Mensch“ und einer Stiftung von Günther Jauch. Ihren Text hat Sabine Pfeifer noch einmal abgeschrieben, „weil das Schreiben mein einziger Zugang zur Stimme ist“. Und nach jeder Probe notiert sie in einem Protokoll ihre eigenen Reflexionen.
„Ich habe mich fürs Ja entschieden und daraus erwächst mir Verantwortung. Ich kann nicht sagen: Tragt mich. Jeder muss den anderen mittragen. Und Axel gibt jeden die Chance für ein kleines Licht.“ Für alle sei es wichtig, neue Schritte zu gehen. Das helfe auch ihm, entgegnet der Regisseur. Und man spürt im Gespräch der beiden die große Achtsamkeit füreinander.
Sabine Pfeifer hat auf Hermannswerder eine neue Heimat: „Ich habe noch nie so frei leben und arbeiten können wie hier. Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint.“ Den Blues hat sie hinter sich gelassen und sich für Free Jazz entschieden. So wie früher, als sie noch Saxophon und Geige spielte. Gerade hat sie eine Geschichte geschrieben über einen Jungen, der nie laufen konnte und dennoch Zirkuskünstler wurde.
Bäume pflanzen und pflegen sowie gute Gedanken für Mutter Erde auf die Welt bringen, das sei ihre Bestimmung. Und groß an der Wand des Zimmers ist ihr erstes Gedicht zu lesen, das sie geschrieben hat: „Nachdem ich die Finsternis und das Tal des Schweigens durchschritten hatte, leuchtete mir die Farbigkeit der Welt in den schönsten Klängen entgegen und ich fürchte nichts.“
Premiere 20. Februar, 18 Uhr, Haus der Begegnung, Zum Teufelssee 30, Potsdam-Waldstadt, weitere Aufführung am 28. Februar um 17 Uhr. Eintritt frei, um Spenden wird gebeten.
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