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Es gab eine Zeit, da fühlte er sich unzeitgemäß. Der Schriftsteller Stefan aus dem Siepen.

©  Rebecca F. Miller

Kultur: Die Suche nach dem gelungenen Satz

Über die Schönheit in der Sprache: Der Potsdamer Schriftsteller Stefan aus dem Siepen

Stand:

Und dann fällt dieses Wort. „Unzeitgemäß“, sagt Stefan aus dem Siepen. Heute weniger, fügt er nach kurzer Pause hinzu. Aber vor zehn Jahren, da habe er sich schon so gefühlt.

Spricht Stefan aus dem Siepen von diesem Gefühl des Unzeitgemäßen, so meint er damit sein Schreiben. Drei Romane hat aus dem Siepen bisher veröffentlicht. Seinen jüngsten mit dem Titel „Das Seil“ stellt er am Samstag bei „Brandenburg liest“ in der Villa Quandt vor. Erzählt wird die Geschichte eines namenlosen Dorfes, das tief in einem namenlosen Wald liegt und deren festgefügte und bewährte Regeln der Gemeinschaft durch ein Seil durcheinandergebracht werden. Ein Seil, dick wie ein Daumen, fest geflochten, das der Bauer Bernhardt eines Abends auf einer Wiese findet und dessen Ende sich irgendwo tief im Wald verliert. Als die Männer des Dorfes sich aufmachen, das Ende dieses Seils zu finden, hat das Unheil von ihnen schon Besitz ergriffen.

Wie schon sein Debüt „Luftschiff“ ist auch „Das Seil“ eine Parabel, lässt Stefan aus dem Siepen etwas Phantastisches in die Wirklichkeit treten und bringt so den gewohnten oder erwarteten Gang der Dinge durcheinander. Und indem er das Phantastische bedient, seziert er die Menschen, von denen er schreibt, legt ihr Inneres bloß, indem er einfach nur zeigt, wie sie sich in diesen phantastischen Situationen verhalten. War es in „Luftschiff“ eine Reise in einem Zeppelin, die wie selbstverständlich nicht das geplante Ziel erreicht, ist es im aktuellen Roman ein schlichtes Seil, das kein Ende hat. Aber es sind nicht diese ungewöhnlichen Themen oder Situationen, von denen Stefan aus dem Siepen schreibt, die unzeitgemäß erscheinen. Es ist die Art, wie der 47-Jährige schreibt. Der Klang seiner Sprache, der wie aus einer längst vergangenen Zeit herüberzuwehen scheint.

Wer mit „Das Seil“ zum ersten Mal etwas von Stefan aus dem Siepen liest, wird sich vielleicht gelegentlich fragen, was an dieser klaren und so sparsamen Sprache unzeitgemäß sein soll. Da erzählt einer mit einfachen Worten von einfachen Menschen in einer ungewöhnlichen Situation. Doch zu schnell kann man sich von dieser Leichtigkeit täuschen lassen. Denn die literarische Sprache von Stefan aus dem Siepen ist etwas zum Genießen. Und wer dementsprechend schon den ersten Satz von „Das Seil“ liest, langsam und mit Pausen nach jedem Komma, der betritt eine Art Klangraum: „Als Bernhardt, die Pfeife zwischen den Zähnen, seinen Abendgang machte, lagen die kleinen Holzhäuser des Dorfes im Dunkeln, die Läden vor den Fenstern waren geschlossen, hier und dort schlängelte sich Rauch von einem strohgedeckten Dach dem Himmel entgegen, an dem das gelbweiße Mondlicht die Sterne verscheuchte.“

Auf die Frage, was das Schönste für ihn beim Schreiben sei, antwortet Stefan aus dem Siepen: „Der gelungene Satz.“ Und nach einem kurzen Moment des Überlegens verbessert er sich und sagt: „Der endlich gelungene Satz.“

Er habe keine Botschaft, die ihm so wichtig erscheine, dass er sie unbedingt unter die Leute bringe müsste. Aber es gibt Themen, die ihn interessieren. Und dazu die Vorstellung, sprachliche Schönheit mit einer guten Erzählung zu verbinden. „Es reizt mich einfach, diese Vorstellung umzusetzen.“

In Essen wurde Stefan aus dem Siepen geboren. Und schon als Kind fing er an zu schreiben, weil das, was er las, ihn so stark faszinierte, dass er es auch versuchen wollte. Er studierte Jura, merkte aber bald, dass ihm die Vorstellung, später als Rechtsanwalt oder Richter zu arbeiten, nicht behagte. 1992 trat er in den Diplomatischen Dienst ein und verbrachte insgesamt zehn Jahre in China, Luxemburg und Russland. Seit drei Jahren arbeitet Stefan aus dem Siepen im Planungsstab des Auswärtigen Amtes in Berlin. In Potsdam hat er zusammen mit seiner Frau und den vier Kindern eine neue Heimat gefunden.

Im Jahr 2006 erschien „Luftschiff“, zwei Jahre später „Die Entzifferung der Schmetterlinge“, aus dem Siepens bisher stärkstes Buch, was Handlung und auch seinen feinen Sprachklang betrifft. In diesem Jahr nun „Das Seil“, das mittlerweile in die zweite Auflage geht. Das Gefühl des Unzeitgemäßen scheint für ihn nicht mehr relevant zu sein. Vor zehn Jahren aber, als Stefan aus dem Siepen noch nichts veröffentlicht hatte, er sein erstes Romanmanuskript erfolglos an unterschiedliche Verlage verschickte, war das noch anders. Da dominierte eine Schnoddrigkeit im Ton der zeitgenössischen deutschen Literatur, die ihm nicht behagte. Mit seiner Sprachkunst, in der sich letztendlich aber nur die Beherrschung des Handwerklichen widerspiegelt, schien er wie aus der Zeit gefallen. Aber Zweifel überkamen ihn nie.

Spricht man mit Stefan aus dem Siepen über Literatur und über das Schreiben, hört man seine wohl formulierten und durchdachten Sätze, in denen Pausen viel Raum haben, wird schon bald diese stille und unaufgeregte, aber umso stärkere Leidenschaft dieses Mannes deutlich. Da verwundert es auch nicht, dass Stefan aus dem Siepen für das Schreiben keine festen Rituale braucht, die er mit härtester Konsequenz durchsetzen muss. „Ich schreibe, wenn ich Zeit habe und mich die Familie lässt“, sagt Stefan aus dem Siepen. Und wenn er schreibt, dann immer wieder an wechselnden Projekten, Romanideen und Kurzgeschichten. Gelegentlich entwickeln sich dann Geschichten wie „Luftschiff“, „Die Entzifferung der Schmetterlinge“ und „Das Seil“, auf die sich Stefan aus dem Siepen dann konzentriert. Aber er lässt sich Zeit. Liest die Texte immer und immer wieder, leise, um ihren Melodien nachzulauschen. Er streicht überflüssige Worte, formuliert um, vereinfacht, bis das scheinbar Schwerverständliche ganz verständlich zu lesen ist. Er versucht, die Klarheit, die er an der französischen Literatur so sehr schätzt, mit der Innigkeit und Schönheit der deutschen Sprache zu verbinden. Und wenn Stefan aus dem Siepen merkt, dass die Korrekturen und Veränderungen immer weniger werden, weiß er, dass er langsam zum Abschluss kommen kann.

Es ist eine Arbeit mit der Sprache, die trotz aller Selbstverständlichkeit, die trotz all des Handwerklichen immer etwas Leichtes und Lichtes bewahrt. Es sei wie mit der Musik, sagt Stefan aus dem Siepen. Ein Komponist arbeite schließlich auch nur nach Regeln. Aber es ist erst die selbstverständliche Beherrschung, die aus diesen Regeln etwas Besonderes macht. In diesem Sinne ist Stefan aus dem Siepen auch ein Komponist. Und wer seine Bücher liest, erkennt schon bald, dass sie etwas Besonderes sind.

Stefan aus dem Siepen stellt am kommenden Samstag um 21.30 Uhr bei „Brandenburg liest“ in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, seinen Roman „Das Seil“ (dtv München, 14,95 Euro) vor. Neben Stefan aus dem Siepen sind bei dieser Sommerlesung ab 18.30 Uhr Bernhard Robben, Silvio Huonder, Lutz Seiler und Antje Ravic Strubel zu erleben. Der Eintritt 8, ermäßigt 6 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 280 41 03

Dirk Becker

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