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Kultur: Die tragischen Dinge des Lebens

Die Regisseurin und Autorin Jenny Erpenbeck inszeniert „Orpheus in der Unterwelt“

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Die Regisseurin und Autorin Jenny Erpenbeck inszeniert „Orpheus in der Unterwelt“ Wer morgen im Schlosstheater nur auf ein leichtes, entspanntes Operettenerlebnis hofft, wird mit Sicherheit enttäuscht. Das ist mit Jenny Erpenbeck nicht zu haben. Die Regisseurin liebt zwar durchaus Operetten und auch die Heiterkeit, doch allein wer ihre literarischen Arbeiten kennt, dürfte ahnen, dass sie lieber in den Tiefen fischt. Peter Hacks Bearbeitung von „Orpheus in der Unterwelt“ bietet ihr dazu die beste Vorlage. Hacks benutzte den antiken Stoff über Orpheus und seiner untreuen Gattin Eurydike, um seiner eigenen Wut über die Wendezeit Luft zu machen. Er strich den Himmel und das Happyend und stellte dem Ganzen einen Prolog voran, in dem es heißt: „Auch die Wende kann sich wenden. Was schlecht begann, es muss ja nicht schlecht enden“. Diesen Satz strich wiederum Jenny Erpenbeck, um das Werk nicht zu sehr auf das strapazierte Wende-Thema einzuengen. Die Regisseurin denkt in globaleren Zusammenhängen. Auch durch ihr jüngstes Buch, das im Februar erscheinen wird, wurde sie dazu angestoßen. Ein Jahr schrieb sie an ihrem „Wörterbuch“, „das natürlich kein echtes ist.“ Es erzählt von einer Lebenslüge, die Eltern ihrem Kind gegenüber aufrecht zu erhalten versuchen, und es spielt in einer Diktatur. „Mir wurde klar, dass Erwachsene viel mehr von den Wörtern wissen als ein Kind. Je älter man wird, je mehr wachsen die Wörter sich aus, bis sie zu echten Ungeheuern werden.“ Und um Falschheit geht es auch in ihrer „Orpheus“-Inszenierung. Denn Eurydike, die sich von Pluto verführen lässt, weil sie ihre Ehe mit dem Künstler Orpheus nicht mehr aufregend findet, weiß bald um die Lüge und den Schein ihres neuen Galans. Die versprochene Idylle des Paradieses weicht der Ernüchterung. „Wenn sie ein Leben lang jemand waren und nun nichts sind, glauben Sie mir, Madame, das ist eine eigenartige Erfahrung“, steht über den Eingang zur Unterwelt. Das war bei Hacks so und ist bei Erpenbeck geblieben. Und wenn sich die Ostdeutschen darin wieder finden, ist ihr das nur recht. Doch der Ort der Handlung ist „Tempe“, so wie es der im vergangenen Jahr verstorbene Hacks überliefert hat. „Tempe, das liegt laut Google in Arizona, einer Wüstenlandschaft ähnlich der Wüste an der Grenze USA-Mexiko – einer Nord-Süd-Wirtschaftszonengrenze. Die Frauen, die dort arbeiten, tun das für sehr wenig Geld, doch ihre Produkte bringen den Unternehmern riesige Gewinne.“ Und genau über diese Region hatte Jenny Erpenbeck bereits zuvor Erschütterndes gelesen. „Viele dieser Frauen werden auf ihrem Weg von der Arbeit ermordet, oft vergewaltigt und gefoltert. Sie werden irgendwo anonym begraben, denn keiner kennt sie.“ Sehr ernste Hintergründe für eine Operette. Und Jenny Erpenbeck spinnt diesen Faden der Heimatlosen noch weiter. Sie verändert die drei Könige von Hacks in einen Rosen-, einen Zeitungs- und einen Zigarettenverkäufer. „Vielleicht waren sie in ihrer Heimat auch einmal Könige, bei uns sind sie arme Burschen, die sich in die Büsche schlagen müssen, wenn die Polizei kommt. Wenn sie es überhaupt bis hierher schaffen und nicht gleich wieder abgeschoben werden.“ Und es gibt in der Inszenierung auch eine Operetten-Revolution. Denn Pluto lässt am Ende nicht alle Gestrandeten und Verlorenen seines Reiches gehen. Nur die zunehmend enttäuschte, durch Zorn, Verleugnung, Feilschen und Depression gereifte Eurydike darf mitsamt ihrem Mann, der sie zurück haben will, wieder auf die Erde hinauf. Doch oben angekommen, hat es eine Wende gegeben. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Sie kommen nach Hause, doch das Haus gibt es nicht mehr. Es ist die Rückkehr in ein Land, das bedrohlich geworden ist.“ Auch wenn Jenny Erpenbeck größere Kreise als Hacks ziehen will, bleibt doch die Wende im Untertext und Grundgefühl als Thema vorhanden. So wie auch in ihren Büchern. „Durch die Wende ist die Heimat, die Herkunft verschwunden, das hat nichts damit zu tun, ob sie gut oder schlecht war. Und die Zeit verdrängt noch dazu die Erinnerung: Wenn ich an die DDR denke, denke ich immer an November. Dabei gab es für mich 23 Sommer. Ich bin einfach nicht mehr sicher, was wirklich war. Vielleicht das Kathi-Nuss-Kuchenmehl.“ Obwohl Jenny Erpenbeck dem Gespräch immer wieder eine heitere Wende gibt, landet sie schnell bei ernsten Themen und auch beim Tod. „Die Muse hat mich vielleicht deshalb dazu auserkoren, mich mit den tragischen Dingen des Lebens zu beschäftigen, weil ich eine so schöne Kindheit hatte und dadurch mehr aushalten kann. Obwohl ich mich gerade frage: wie viel. Manchmal hilft auch das Schreiben, etwas auszuhalten. In meinem ,Wörterbuch“ habe ich die Leser als Trost. Wenn sie wissen, was ich weiß, fällt es mir leichter, es zu verkraften.“ Die Autorin ist sich natürlich klar darüber, dass sie die Welt nicht retten kann: „Aber ich kann zunehmend weniger vergessen und ich denke, man muss die Wahrheit zur Kenntnis nehmen, um Gründe zu entdecken. Mir bleibt nur die kleine Ecke, die ich habe, um etwas entgegen zu stellen. Ich kann es bei meinem Kind besser machen und selbst im Theater: indem ich dort keinen Terror anzettele. Es gibt Regisseure, die Sänger systematisch zum Heulen bringen. Ich glaube aber nicht, dass man die Qualität der Kunst damit bezahlen muss, dass man andere schlecht behandelt.“ War die Probenatmosphäre zu „Orpheus“ auch friedlich, in der Aufführung wird es um so turbulenter zugehen. Da fliegen in dem königlichen Schloss auch schon mal Müllsäcke. „So wie das Leben ist. Es lässt sich nichts auseinander dividieren. Auch nicht das Leben vom Tod.“ Heidi Jäger Die Premiere ist morgen, 19 Uhr, im Schlosstheater. Die nächste Aufführung ist am 10. 12. mit Publikumsgespräch.

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