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Von Heidi Jäger: Die Trauer trägt Flügel

Kontraste: Die Galerie am Neuen Palais zeigt Arbeiten von Katharina Kretschmer und Christa Posselt

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Die Bühne gehört den Frauen, die den Schatten des Mannes in sich tragen. Ismene, Lulu, Ophelia. Große Namen aus den großen Tragödien der Weltliteratur. In ihrem Theater der Leidenschaft gewährt die Malerin Katharina Kretschmer ihnen einen Soloauftritt.

Großformatig bannt die Dresdner Künstlerin ihre Heldinnen auf Holz, schneidet langgezogene, schemenhafte Köpfe in die Maserung gewachsener Natur. Die Münder oft grellrot, die Haare wie ein Schleier das Oval des Gesichtes umschmeichelnd. Und immer wieder glitzern winzige Schmucksteine an Augen, Ohren und Hals. Die Holzschnitte und Collagen, die neben Grafiken von Christa Posselt bis 3. Oktober in der Galerie am Neuen Palais ausstellt werden, changieren zwischen Eindringlichkeit und Ethno-Look. Während ihre reduzierten Holzschnitte Stimmungen sensibel herausschälen, sind auf manchen Collagen die Gesichter von Ornamenten förmlich überwuchert. Die Frau als Dekorationsobjekt des Mannes?

Ihre „Ophelia“ hingegen zeigt den Besitzansprüchen der Männer die kalte Schulter. Im knappen roten Bikini schreitet sie aufrichtig davon: mit einem letzten auftrumpfenden Blick. Sie ist nicht das leichtfertige, dem Wahnsinn verfallene Mädchen, das sich im Wasser ertränkt. Die Malerin gibt der Figur Shakespeares Selbstbestimmtheit und Heutigkeit. Sie schreitet die Gefühle zwischen Stolz und Melancholie mit großem Gestus aus: märchenhaft verrückt und doch tief gezeichnet. Die Trauer trägt bei ihr engelsgleiche Flügel.

Offensichtlich wird sie dabei vom Jugendstil ebenso inspiriert wie von der afrikanischen Kunst und oft schauen aus den Werken auch die Farbigkeit Klimts und die „Schwanenhälse“ Modiglianis heraus. Dennoch hat Katharina Kretschmer ihren eigenen Ausdruck gefunden, den sie oft sehr spielerisch ausreizt und auch in Skulpturen formt, die allerdings mitunter wie Bastelarbeiten wirken.

Doch nicht nur die Welt des Theaters gerinnt in ihren Bildern. Auch Literatur, die politische Minenfelder betritt, verarbeitet sie zu bildkräftigen Gleichnissen. Ihr „Armenisches Mädchen“ entstand nach Werfels „Die letzten Tage des Musa Dagh“ und erzählt vom Völkermord der Türken an die Armenier. Bei Katharina Kretschmer windet sich eine grellrosa Schlange gefährlich um den Leib einer Frau und droht sie zu erdrücken.

Auch das Bild „Verlassen“ fesselt den Blick des Betrachters: die großen dunklen Augen der Frau schauen gedankenverloren in die Weite, ihr schmaler Körper ist wie geknebelt. Das goldgewirkte Kleid in seinem warmen Zauber lässt die Einsamkeit noch stärker hervortreten. Hier zeigt sich, wie auch in die „Traurige Schöne mit schwarzen Schuhen“, dass die 39-jährige Künstlerin nicht nur holzschnittartig, sondern auch malerisch die Seele aufzuspüren weiß.

Galerist Jürgen Oswald präsentiert seine beiden Künstlerinnen klugerweise getrennt voneinander. Mit der 1996 verstorbenen Potsdamer Malerin und Grafikerin Christa Posselt kommt eine ganz andere Ausdrucksweise zum Zug: Fein und zurückhaltend, doch sehr genau die Stimmung der Natur einfangend. Ihre Motive fand die ehemalige Kunsterzieherin oft vor der Haustür. Unspektakulär und doch von großer Empfindsamkeit sind ihre „Flußlandschaft“, der lichtdurchflutete „Frühling im Eichenwald“ oder die Blätter zerzausenden „Herbststürme“. Aussichten und Durchsichten in „stillen Winkeln“.

Diese vielgesichtige kontrastreiche Doppel-Ausstellung bietet neben großen Tragödien auch das kleine feine Kammerspiel.

Zu sehen ist die Ausstellung bis 3. Oktober, Freitag bis Sonntag, 13 bis 18 Uhr, Galerie am Neuen Palais.

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