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Von Heidi Jäger: Die Verführten

Michael Schroth über die heutige Premiere von Arthur Millers „Hexenjagd“ am Hans Otto Theater

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Bei diesem herrlich-weiten Blick über den Tiefen See lassen sich die Gedanken nur schwer in das Dickicht von Gesinnungsschnüffelei und Denunziation hineinziehen. Zudem weiß Schauspieler Michael Schrodt, der in Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ einen dieser Denunzianten spielt, beim Erzählen über das eigene Leben so unterhaltsam zu fesseln, dass man fast den Anlass des Gesprächs vergisst. Er hat mit diesem Thomas Putnam, einem Großgrundbesitzer, der immer mehr Reichtum anhäuft, überhaupt nichts gemein, sagt er in der Probenpause bei einem Café Latte und einem großen Kirschsaft an Bord der „John Barnett“.

Dennoch muss man als Schauspieler natürlich für jeden Typen eine Erklärung finden, auch warum ihn das Leben zu einem Scheusal werden lässt. „Wenn ein Gedanke nicht ganz klar ist, entlarvt er sich als nicht gedacht“, zitiert Schroth Regisseur Ingo Berk, der „Hexenjagd“ am heutigen Donnerstag im Hans OttoTheater zur Premiere bringt. „Dieser Putnam hat sieben totgeborene Kinder zu verkraften. Diese Schicksalsschläge lassen ihn verhärmen“, versucht Schroth tiefer auf den Grund seiner Figur zu schauen. Auch seine Ehe ist am Ende. Immer wieder lässt dieser unzufriedene Mann Sätze über andere Leute fallen, die böse Kreise ziehen. „Wenn er zum Beispiel wie nebenbei sagt: ,Ich glaube, Pastor Parris wird langsam verrückt’, dann macht das die Runde und wird immer weiter aufgebauscht.“

Millers „Hexenjagd“ basiert auf Ereignissen, die sich 1692 in der streng religiösen Gemeinde Salem in Massachusetts zugetragen haben. 30 Menschen wurden damals aufgrund von Falschaussagen zum Tode verurteilt. Junge Mädchen, die nachts bei einem heidnischen Ritual vom Pfarrer Parris erwischt werden, lösen in ihrer Panik eine fatale Kettenreaktion aus. Um sich selbst vor einer Strafe zu schützen, beschuldigen sie andere, sie zu ihrem verbotenen Tun angestiftet zu haben. Bald steht halb Salem im Verdacht, mit dem Teufel zu paktieren. Ein Thema, das Miller 1953 aufgriff, um die McCarthy-Ära und ihre Kommunistenjagd zu entlarven. Doch „Hexenjagd“ zielt über die Zeit hinaus. Das Drama ist eine Parabel auf die Kraft und Schwächen jedes Einzelnen und auf seine Verführbarkeit.

Die Figur des Thomas Putnam ist keine zentrale Gestalt. „Sie tritt immer dann in Erscheinung, um das Geschehen zu beschleunigen. Sie gibt auf die losgetretene Lawine fiebriger Hetze immer noch eine Schippe drauf. Auch wenn Ingo Berk den Text stark eingestrichen hat und nicht mehr so viel für mich übrig bleibt, kommt dieses Ekel auch in wenigen Sätzen gut rüber“, sagt Schroth, gar nicht traurig über seine eher zweitrangige Rolle. Schließlich ist er sehr stark im Theaterbetrieb eingebunden. Das Weihnachtsmärchen „Die Schneekönigin“, in dem er den Teufel spielte, kostete ihn mit fast 50 Vorstellungen immerhin zehn Kilo, gibt er zu bedenken und weist auf sein schmal gewordenes Gesicht. Parallel zu „Hexenjagd“ probt er bei Tobias Wellemeyer das Stück „Volpone“ und bei dem Hin und Her kommt er auch schon mal mit dem falschen Kostüm angehetzt. „Den Text habe ich aber noch nicht durcheinandergebracht“, sagte er scherzend und streicht sich zufrieden über den kahlgeschorenen Kopf, der vor wenigen Jahren noch mit dunklen langen Locken umrahmt war. Doch der 38-Jährige bekannte sich zu den einsetzenden Verlusten des Alters und setzte rigoros den Rasierer an.

Sich abzusichern für das Alter, so wie es Putnam manisch betreibt, liegt dem Mimen aber bislang fern. „Ich habe noch kein Haus gebaut, kein Apfelbäumchen gepflanzt, kein Buch geschrieben und auch kein Kind gezeugt. Bis wann hat man damit eigentlich Zeit?“, fragt er eher rethorisch. Als Michael Schroth die Schule verließ, schaute er geradezu arrogant auf seine Kumpels, die sich ein Reihenhaus bauten. Ihn zog es in die Welt hinaus, soweit wie möglich weg von Bruchköbel. Ein Wort, das er betont langsam spricht, weil er sich schon insgeheim auf das fragende Gesicht seines Gegenübers freut. Ja, Bruchköbel, bei Frankfurt am Main. Und sein Gymnasium, eine „Eliteschule“ mit angeschlossenem Kloster, „das war in Großkrotzenburg“ – dehnt er wiederum die Silben. Dort sind die Pater fast aus den Pantinen gekippt, als ihre Zöglinge aus der Kabarettgruppe, einschließlich Michael Schroth, beim ersten Golfkrieg ein Transparent ausrollten mit allen Firmen drauf, die an dem Krieg verdienten. „Das gab einen Aufstand.“ Dennoch waren diese Gemeinden in ihrer Engstirnigkeit und Verbohrtheit sicher nicht anders als größere Städte, mutmaßt Schroth.

Er ging jedenfalls 1993 in den Osten und fand es als 21-Jähriger aufregend, in seiner Dresdner WG in der Neustadt mal das Gegenteil von gesättigtem Wohlstand zu erleben. „Ich hatte nur Außenklo und keine Dusche und fand es toll, wenn sich die halbe Neustadt beim Duschen im Nordbad traf und beim Warten auf eine freie Kabine selbstgebackenen Kuchen für 50 Pfennig aß.“ Und er dachte: Ja, es geht auch so, es muss nicht alles im Überfluss da sein, obwohl seine Eltern als Friseuse und Autoschlosser auch keine Reichtümer anhäufen konnten.

Mit einer Regiehospitanz am Staatsschauspiel Dresden begann seine Theaterlaufbahn ganz von unten, es folgten Regieassistenzen bei Ursula Karruseit und Tobias Wellemeyer und schließlich schaffte er es auf Anhieb, einen Studienplatz als Schauspieler an der Ernst-Busch-Hochschule zu ergattern. In Essen, wo er parallel ein Vorsprechen hatte, sagte ihm ein Dozent derweil: „Ich sehe hier gar nichts.“ In Berlin sah man offensichtlich besser. Jedenfalls spielte Schroth nach dem Studium sieben Jahre am Schauspielhaus Leipzig, wo eine seiner wichtigsten Arbeiten die Uraufführung von „Ich bin meine eigene Frau“ mit ihm als Charlotte von Mahlsdorf war. Dann kam ein neuer Intendant mit neuen Leuten. Es befiel ihn schon eine gewisse Panik, als er sich nach der Kündigung als Freiberufler wiederfand. „So viel Zettelkram, das übersteigt meine Grenzen.“ Nun musste er sich sogar ein Handy zulegen, wo er weder einen Fernseher noch einen Computer hat. Aber ehe er sich versah, steckte er schon wieder im Engagement, nun in Potsdam.

Noch ist er nicht in der Stadt angekommen. „Aber das ist kein Potsdam-spezifisches Problem. Ich brauche immer lange, um mich einzuleben.“ Dafür hat er schon seine Lieblingsbar. Welche, verrät er natürlich nicht. Aber das lässt sich in einer kleinen Stadt wie Potsdam ohnehin nicht lange verheimlichen, zumal sein Gesicht aus „Lola“, „Woyzeck“ oder „Clavigo“ längst bekannt ist. Vor allem aber als Vollblutschnecke in „Motte & Co“ hat er eine breite heitere Spur hinterlassen.

Premiere heute 19.30 Neues Theater

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