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Wenn Worte frieren lassen. In dem Stück „Drei Mal Leben“ geht es um Zwischentöne, um die Machtspiele in der Ehe. Marianna Linden und Jon-Kaare Koppe spielen das Paar Sonja und Henri, das ein anderes Paar zu Besuch bekommt.

© HOT/Göran Gnaudschun

Kultur: Die verpassten Momente

Die Komödie „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza hat am Hans Otto Theater Premiere

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Hier landet man ganz schnell bei sich selbst. „Drei Mal Leben“ parliert mit den Scheingefechten in der Ehe, um am Ende die wirklichen Machtspiele freizulegen. „Auch die Proben sind ein ganz intimer Prozess, in denen man viel von sich selbst preisgibt“, erzählt Jan-Kaare Koppe. Man merkt ihm und seiner Spielpartnerin Marianna Linden die Anstrengung an, als sie in der Pause über ihre Arbeit erzählen, die sich nicht so schnell abschütteln lässt. Sie ringen um jedes Wort, um die spritzige und tieflotende Daseinskomödie, die am kommenden Freitag am Hans Otto Theater Premiere hat, richtig zu fassen. „Yasmina Reza hat die Beziehungen zwischen Frau und Mann so klug und scharf beobachtet, dass ein Großteil des Publikums schon nach ein paar Sätzen sagen wird: Das kenne ich, so bin ich auch.“ Da sind sich beide einig.

Warum aber „Drei Mal Leben“ und nicht einmal richtig? Darüber habe er gerade mit Regisseur Tobias Wellemeyer gesprochen, sagt Jan-Kaare Koppe. „Wer kennt nicht das furchtbare Gefühl des verpassten Moments, dass man sich ärgert, nicht in einer bestimmten Situation das Richtige gesagt zu haben. Aber dieser Moment ist weg. Hier, in diesem Stück, ergibt sich die Möglichkeit, das zu ändern. Wenigstens ein bisschen.“ Gespielt werden drei Versionen des Lebens – abgehandelt an einer ganz konkreten Situation.

Im Mittelpunkt steht der von Jan-Kaare Koppe gespielte Astrophysiker Henri. Er hofft auf Unterstützung seines renommierten Kollegen Hubert Finidori, um beruflich weiterzukommen. Also laden Henri und seine Frau Sonja das Ehepaar Finidori zum Abendessen ein. Doch durch eine Verwechslung stehen die Finidoris einen Tag zu früh vor der Tür und treffen auf völlig unvorbereitete Gastgeber. Jetzt heißt es für die Überraschten, sich schnell in Schale zu werfen, dem leeren Kühlschrank doch noch ein paar Snacks zu entreißen und den sechsjährigen Sohn zu bändigen, der im Kinderzimmer gerade den täglichen Aufstand probt. „Aus dieser Zuspitzung entwickelt sich die Katastrophe“, so Marianna Linden. Sie spielt die Ehefrau von Henri und ist anfangs total gefrustet. Ihr Mann hat seine Forschungsarbeit gerade abgeschlossen und ist ausnahmsweise mal zu Hause, wenn das Kind ins Bett gebracht wird. „Sonja ist Rechtsanwältin, wahrscheinlich hat sie ihre Karriere für die Familie aufgegeben. Das liest man aber nur zwischen den Zeilen. Jedenfalls ist sie extrem angespannt“, beschreibt Marianna Linden die Ausgangssituation ihrer Figur. Die aufreibende Diskussion mit ihrem Gatten, ob das Kind nach dem Zähneputzen noch einen Apfel essen darf oder nicht, erzähle vor allem etwas über die eigene Unzufriedenheit der Eheleute, über deren Machtkämpfe. Noch im Zaum gehaltene Gefühle schälen sich im Zusammenprall mit dem anderen Ehepaar dann bis zur Eskalation heraus. „Diese Komödie ist wie ein Musikstück. Jede Figur wird wie ein Instrument zum Klingen gebracht, mal lauter, mal leiser. Mal übernimmt das eine Instrument die Führung, mal das andere“, so Marianna Linden. Am Ende entstehe ein ganzer Kosmos. Mit schwarzen Löchern, so wie in Henris Forschungsarbeit. Und doch wird sich nicht viel ändern, an diesem Abend in Variationen. „Jeder trägt in sich so viele Möglichkeiten und doch kommt man nicht raus aus seiner Haut. Auch wenn ich mich immer ein wenig anders verhalte, bleibe ich am Ende derselbe“, betont Jan-Kaare Koppe.

Zu Beginn des Abends bringt ihn allerdings ein fast nebenbei hingeworfener Satz des Kollegen noch fast um den Verstand. Der sagt, dass er irgendwo im Internet gelesen habe, dass andere Wissenschaftler ebenfalls an Henris Thema forschen. Das haut Henri völlig um. Er hat Angst um die Früchte seiner dreijährigen Arbeit. Nur durch diese vage Behauptung gerät er total aus der Bahn, wird zu einem kleinen Nichts. „Eine Eigenschaft, die ich ihm als Ehefrau schon immer vorgeworfen habe. „Du kriechst, du schleimst rum“, hält Sonja ihrem Henri vor. Dabei würde Henri gar nicht ins Bodenlose stürzen, selbst wenn es wirklich andere Forschungsergebnisse auf seinem Gebiet gäbe. Sein Job ist ihm sicher. Aber da ist dieses Selbstwertgefühl. „Ich kann das gut nachvollziehen. Das ist in meinem Beruf nicht anders. Wenn ich eine Figur spiele, und die Presse sagt, es war nicht so toll und auch Kollegen meinen, na, Jan-Kaare, das haben wir schon mal besser gesehen, dann bin ich tot unglücklich und es wird mich tagelang beschäftigen. Jeder nimmt seine Lebenserfahrung mit in dieses Theaterstück rein“, so Koppe. Und er spielt den Ball an seine Kollegin weiter: „Ich musste für die Rolle meinen Beruf hernehmen. Du hast ein Kind, das du auch noch mit einbringen kannst“, sagt er munter. „Ja, ich habe ein Kind, einen Mann und einen Beruf. Aber stimmt so die Reihenfolge?“ - hält sie kurz inne. Darüber müsse sie noch mal nachdenken.

Die Arbeit hat die beiden offenbar sehr sensibilisiert, jedem Satz nachzulauschen. Diese Lust an verbalen Spielen, an der Rede-Kunst, mit der das Unsichtbare sichtbar gemacht wird, das ist es, was sie an Yasmina Reza so reizt. „Der französischen Autorin geht es immer um das, was hinter den Worten liegt, um das ganz persönliche Dilemma, um das ganz persönliche Glück. Und sie greift dabei bis zu den Sternen, hinein in den Kosmos, von dem wir alle ein Teil sind“, sagt Marianna Linden.

Mit ihrem preisgekrönten Stück „Kunst“ eroberte Yasmina Reza schon in den 90er Jahren die Bühnen im Sturm. Ihre Komödie „Der Gott des Gemetzels“, die 2011 von Roman Polanski verfilmt wurde, lief mit großem Erfolg auch am Hans Otto Theater. Mit „Drei Mal Leben“ zeigt sich Yasmina Reza nun einmal mehr als Meisterin der Zwischentöne.

Und Henri? Wie geht es ihm nach den drei durchgespielten Möglichkeiten seines Lebens, zwischen Ohnmacht, Trunkenheit und Ernüchterung? „Im dritten Teil ist mein Henri ganz toll. Er erkennt, dass in dem Moment, wo man dem Glück nicht mehr nachrennt, wo man sagt, ich bin wie ich bin – dass in diesem Moment das Glück von ganz allein kommt. Das ist unsere Lesart, und die unterschreibe ich.“

Premiere am Freitag, dem 9. November, um 19.30 Uhr, Hans Otto Theater, Schiffbauergasse

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