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Bis zum Hals steht das Wasser zwar nicht. Aber eitel Sonnenschein hinsichtlich der Besucherzahlen herrschen im Hans Otto Theater nicht. Über die Ursachen wird diskutiert. Aber gespuckt wie in „Der Volksfeind“ mit René Schwittay (links) und Axel Sichrovsky wird dabei noch nicht.

© HL Böhme

Hans Otto Theater: Die Wahrheit nicht nur aushalten

Tobias Wellemeyer bleibt Intendant am Hans Otto Theater: Ein paar Überlegungen zu der Frage, warum dem Potsdamer Theater die Zuschauer fehlen

Stand:

So viel steht fest: Tobias Wellemeyer bleibt über das Jahr 2014 hinaus Intendant am Hans Otto Theater. „Wir werden den Vertrag verlängern“, sagte Stefan Schulz, Pressesprecher des Oberbürgermeisters auf PNN-Anfrage. „Hätten wir den Vertrag kündigen wollen, hätten wir das bis zum 31. Januar tun müssen. Beide Seiten wollen ihn aber fortsetzen“, so Schulz. Offen bleibt die Frage, ob es Wellemeyer gelingen wird, mehr Zuschauer in sein Theater zu holen, somit die Bilanz zu verbessern und endlich die kritischen Stimmen verstummen zu lassen, die ihm Identitätsverlust und fehlende Nähe zum Potsdamer Publikum vorwerfen.

An dieser Stelle soll es nun nicht um halbseidene Vorschläge gehen, was Tobias Wellemeyer besser machen könnte, müsste oder sollte. Das wäre vermessen. Es geht hier um das Unbehagen über eine schon so lange Diskussion, in der auf der einen Seite zu Recht ernste Probleme am Hans Otto Theater angesprochen werden. Auf der anderen Seite aber diese Diskussion fast immer nur verkürzt über die Personalie Wellemeyer geführt wird. Tendenz in dieser Diskussion ist, zugespitzt gesagt: Wenn Wellemeyer geht, wird am Theater alles besser. Ach, wenn es doch so einfach wäre!

Im Herbst 2009 übernahm Tobias Wellemeyer als Intendant und Regisseur das Hans Otto Theater. Er kam mit einem neuen Ensemble und 24 Neuinszenierungen für seine erste Spielzeit nach Potsdam. Er kam mit seiner Idee, seinen Vorstellungen eines Stadttheaters. Und er kam mit einer eigenen Handschrift, die jeder Theaterbesucher von einem Intendanten erwartet. Nur leider stieß er damit nicht gerade auf Gegenliebe beim Potsdamer Publikum.

Es wurde einiges Porzellan zerschlagen in den ersten Monaten von Tobias Wellemeyers Intendanz. Er hat nicht souverän auf die Abstimmung mit den Füßen der Theaterbesucher reagiert. Wellemeyer hatte das Publikum für seine Ablehnungshaltung gar kritisiert. Er wollte mehr junge Zuschauer und vergräzte die älteren. „Lasst uns mehr Wahrheit aushalten“, so lautete sein programmatischer Ansatz. Wo sein Vorgänger Uwe Eric Laufenberg auch auf die Besetzung mit Stars und Sternchen setzte, also klingende Namen wie Katharina Thalbach, Angelica Domröse und Winfried Glatzeder, die das Publikum zogen, stellte Wellemeyer sein Ensemble in den Vordergrund. Und er wählte Stücke für die Bühne, die herausforderten, sich unbequem gaben und in ihrer Umsetzung nicht selten provozierten. Aber auch das gehört zu einem Stadttheater, dass hier gegen Erwartungen, Gewohnheiten und Vorurteile gespielt wird. Das Potsdamer Publikum hat darauf reagiert. In Wellemeyers erster Spielzeit kamen rund 15 200 Besucher weniger ins Theater als in der Spielzeit zuvor, der letzten unter Uwe Eric Laufenberg. Die Auslastung fiel so von 71 auf 67 Prozent, die Eigeneinnahmen von 12,3 auf 10,6 Prozent. Schnell wurden Stimmen laut, die Wellemeyer ein unausgewogenes und zu intellektuelles Programm vorwarfen. Und natürlich wurde auch nicht mit entsprechenden Vorschlägen gespart.

Bis heute wird im Zusammenhang mit der Kritik an Tobias Wellemeyer fast schon reflexartig sein Vorgänger Uwe Eric Laufenberg genannt. Und in diesem Vergleich gilt, zugespitzt gesagt, Laufenberg als der Könner, Wellemeyer als der Hilflose.

Fünf Jahre lang leitete Laufenberg das Potsdamer Theater, das damals noch in der Blechbüchse am Alten Markt residierte. Laufenberg sah in der Blechbüchse vor allem das, was sie war: ein Provisorium. Und nur in diesem Provisorium spielen, das wollte er nicht. „Theater unterwegs“ nannte er sein Konzept, ungewöhnliche Orte für seine Inszenierungen in der Stadt zu entdecken. Damit hatte Laufenberg Erfolg. Als er im Herbst 2006 den 26 Millionen teuren Neubau in der Schiffbauergasse übernahm, war es auch die Neugier auf die neue Spielstätte, die viele in das Theater lockte und so auch für stolze Zuschauerzahlen sorgte.

Wellemeyer ist der zweite Intendant im Theaterhaus am Tiefen See. Von der Neugier an der neuen Spielstätte konnte er nicht mehr profitieren. Er setzte auf ein anspruchsvolles Programm, mit dem er aber nur schwer das Potsdamer Publikum erreichte. Immer wieder wurde ihm deshalb das „Theater unterwegs“-Modell von Laufenberg vorgeschlagen. Er solle mehr in die Stadt wirken, um so mehr Gäste in der Schiffbauergasse zu bekommen. Doch Wellemeyers Auftrag als Intendant besteht darin, das Theater in der Schiffbauergasse zu bespielen, daneben auch noch die kleinere Spielstätte Reithalle in direkter Nachbarschaft.

Fast 570 Vorstellungen bringen die Schauspieler im Jahr auf die Bühne, 40 Prozent davon allein im Bereich Kinder- und Jugendtheater. Hinzu kommen rund 50 Gastspiele im Land Brandenburg. Dann ist da noch die Reihe „nachtboulevard“ in der Reithalle, in der unter anderem szenische Lesungen, Konzerte und offenere Formate des Schauspiels angeboten werden. Ein Großteil davon wird auch von den Schauspielern getragen. Und nun sollen sie auch noch in die Stadt hinein wirken? Sollen neue Spielorte entdecken? Das Publikum auf ungewohnten Wegen für sich begeistern? Hat bei dieser Milchmädchenrechnung vielleicht auch einer mal berücksichtigt, dass diese Schauspieler nicht nur proben und spielen, sondern vielleicht auch mal schlafen müssen? Und dann ist da noch immer das altbekannte Dilemma um den Standort Schiffbauergasse und das ewige Problem der sogenannten Aufenthaltsqualität.

Aufenthaltsqualität, so unangenehm dieses Wort klingt, so bescheiden ist es darum in der Schiffbauergasse bestellt. Wer nur einmal in dieser trüben Jahreszeit eine Vorstellung im Theater besucht hat, weiß, wovon hier die Rede ist. Den Gast empfängt zuerst einmal Dunkelheit und viel Beton. Der Weg von der Berliner Straße hin zum Theater hat den Charme eines Gefängnishofes. Im Sommer ist es nur deshalb etwas besser, weil es da noch hell ist. Und wer nach dem Theater noch etwas erleben will, der ist in der Schiffbauergasse an der falschen Adresse. Es sei denn, er liebt diese Menschenleere und Kasernenhofatmosphäre. Es gibt zwar gleich neben dem Theater das Ristorante „Il Teatro“ und das Schiffsrestaurant „John Barnett“. Das war es dann auch schon mit der gastronomischen Vielfalt im selbst ernannten „Erlebnisquartier“. Dieser Standort ist so einladend wie eine kräftige Tracht Prügel. Und wenn man schreibt, die Schiffbauergasse sei totsaniert, dann quaken sie wieder los, die Herrschaften, die das alles verzapft haben, sich aber keiner Fehler bewusst sind. Auch mit diesen Problemen hat Wellemeyer zu kämpfen.

Hinzu kommt, dass Wellemeyer in einer Stadt Theater macht, in der sehr viel Kultur geboten wird. Gegen diese oft sehr hochkarätige Konkurrenz muss sich auch ein Stadttheater behaupten. Und dann ist da noch Berlin mit seiner Kulturübermacht vor der Haustür. Doch auch Tobias Wellemeyer muss einiges tun, damit er und sein Theater aus der Kritik kommen. Es geht nicht allein darum, die Wahrheit auszuhalten. Man muss sich ihr auch stellen.

Tobias Wellemeyer hat in seiner Potsdamer Zeit ein starkes Ensemble geformt. Er hat, als die Kritik an ihm am stärksten wurde, sogar schon von Absetzung die Rede war, Ende 2010 mit „Der Turm“ eine Inszenierung auf die Bühne gebracht, in der sich Anspruch und Erfolg perfekt verbunden haben. Er hat in seinen ersten Potsdamer Wochen das Publikum vor den Kopf gestoßen, sich dann aber auch der Kritik gestellt. Wellemeyer hat trotz der Prügel, die er und seine Schauspieler anfangs einstecken mussten, an seinem Konzept festgehalten. „Wir müssen Stadttheater allerdings als einen künstlerischen Raum begreifen, als einen geschützten Raum für Kunst beschreiben – das ist unsere Aufgabe“, hatte er in einem PNN-Interview im Oktober gesagt. Doch was nützt dieser geschützte Raum, wenn ihn zu wenige besuchen?

Wellemeyer ist es in seiner Potsdamer Zeit leider nicht gelungen, dem Theater in der Öffentlichkeit ein Gesicht zu geben. In dieser Hinsicht muss er sich an seinem Vorgänger Laufenberg messen lassen. Der wusste sich in der Stadt zu präsentieren. Laufenberg zeigte sich, wusste, dass man die Menschen manchmal auch abholen muss. Er gab dem Publikum ordentlich Zucker. Nun ist Tobias Wellemeyer eher der Mensch, der gern in der zweiten Reihe bleibt. Der öffentliche Auftritt ist nicht sein Metier. Muss es auch nicht sein. Aber wenn er jemanden in seinem Team hätte, der sich sicher auf diesem Parkett bewegen kann und sein Theater zu präsentieren versteht, wäre das in der Außenwirkung nicht zu unterschätzen. Denn was die Schauspieler auf der Bühne leisten, das lohnt viel mehr Interesse. Aber auch hier muss etwas passieren, weil sonst das Gefühl der Erwartbarkeit droht.

Es wird Zeit, dass Wellemeyer starke Schauspieler wie beispielsweise Wolfgang Vogler oder René Schwittay auch in anderen Rollen zeigt. Wie herrlich die beiden explodieren und toben können, das hat man schon oft gesehen. Aber die wirkliche Überraschung, ganz gegen den Strich gebürstet, die ist ihnen bisher verwehrt geblieben. Es braucht diese Momente aber gerade in einem Stadttheater, wo der regelmäßige Besucher die Schauspieler wie Bekannte sieht. Und wenn man dann wie im Sommer in der Open-Air-Inszenierung „Die Schule der Ehemänner“ sieht, wie Elzemarieke de Vos derartig grandios komödiantisch spielt, dass man mit offenem Mund dasitzt und sich vor Begeisterung immer wieder auf die Schenkel schlagen möchte, entsteht auch etwas Besonderes, dieses Mein-Stadttheater-Gefühl.

Tobias Wellemeyer hat sehr viel geleistet in seiner Potsdamer Zeit. Er lässt junge Regisseure inszenieren und hat Gespür für den schauspielerischen Nachwuchs. Holger Bülow, der den Christian Hoffmann in „Der Turm“ spielt, ist mittlerweile nach Köln gewechselt. Mit Alexander Finkenwirth ist derzeit wieder ein beeindruckender Nachwuchsschauspieler in Potsdam zu erleben. Wellemeyer hat mit dem Sommerspektakel „Eine Stadt für eine Nacht“ gezeigt, welches Potenzial in der Schiffbauergasse steckt, wenn man diesen Standort beleben will.

Aber Wellemeyer muss sich auch der Zurückhaltung des Publikums stellen. Eine Wahrheit, die es nicht nur auszuhalten gilt. Er muss nun nicht, wie Uwe Eric Laufenberg es erfolgreich gemacht hat, Stars und Sternchen nach Potsdam holen. Das braucht es nicht, dafür hat er viel zu gute Schauspieler in seinem Ensemble. Außerdem wäre das immer auch eine Frage des Geldes. Aber warum nicht mehr Stücke auf den Spielplan, bei deren Titel auch derjenige hellhörig wird, der nicht regelmäßig ins Theater geht. Warum nicht einfach mal mehr Leichtigkeit probieren? Wie wunderbar seine Schauspieler das können, zeigen sie gerade in der Komödie „Außer Kontrolle“. Im Sommer muss das Theater bespielt werden und wenn es Fremdveranstaltungen sind. Es muss gerade in Zeiten knapper Kassen über Alternativen nachgedacht werden. Und das heißt nicht zwingend, dass das zulasten der Qualität geht.

Auch wenn man nicht mit jeder Inszenierung am Hans Otto Theater einverstanden sein muss, Qualität liefert das Ensemble, selbst wenn das Theater mit seinem Jahresbudget von zehn Millionen Euro unterfinanziert ist. Obwohl es dazu in dieser Stadt auch unterschiedliche Meinungen gibt. Dass Tobias Wellemeyer Intendant bleibt, ist eine gute Nachricht. Was er und was das Publikum daraus machen, das ist jetzt die interessanteste Frage

Dirk Becker

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