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Kultur: „Die weiche Schicht der Verhältnisse“

Das Scheitern als Stoff: Literaturwissenschaftler Wolfgang Matz über sein Buch „Die Kunst des Ehebruchs“, das er am Donnerstag in der Villa Quandt vorstellt

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Herr Matz, in Ihrem neuen Buch widmen Sie sich dem Thema des Ehebruchs in drei großen Romanen des 19. Jahrhunderts: „Emma Bovary“ von Gustave Flaubert, „Anna Karenina“ von Lew Tolstoi und „Effi Briest“ von Theodor Fontane. Ist nicht eigentlich schon alles gesagt worden über diese Klassiker?

Das Besondere an den wirklich großen Werken der Literatur, überhaupt der Kunst, ist, dass man niemals alles sagen kann. In dem Fall war es witzigerweise so, dass, als ich dem einen oder anderen Freund von dem Plan erzählt habe, die Antwort immer war: Das gibt es doch schon. Es gab so eine Studie aber noch nicht.

Wie kamen Sie auf das Motiv des Ehebruchs?

Ich kam durch die Beschäftigung mit der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts darauf. Es gibt wenige Beispiele in der Literatur, wo drei Bücher so nah beieinander sind in der Grundkonstellation und so stark ein und dasselbe Thema variieren. Alle Fragen der Moral, der Liebe, der Ehe und eben auch des Negativen, der Zerstörung von Moral, Liebe und Ehe, sind äußerst vielsagend für das, was in einer Gesellschaft in einer bestimmten Zeit passiert. Sie können in einer Zeit die historischen, die politischen Fakten untersuchen, Sie können aber auch die „weiche Schicht der Verhältnisse“ untersuchen. Und da ist die Art, wie Ehen geschlossen werden und wie sie sich zur Liebe verhalten und wie Ehen kaputtgehen, auch wiederum sich zur Liebe verhalten, äußerst aufschlussreich.

Auch für unsere heutige Zeit?

Dass die menschliche Paarbildung und das Auseinanderfallen dieser Paare eines der Hauptthemen ist, zeigt jedes Kino- und Fernsehprogramm und auch die ganze Galerie der Trivialromane. Dass die Ehe als formalisierte gesellschaftliche Bindung seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr die Hauptrolle gespielt hat, ist klar. Aber wenn Sie sich heute angucken, welcher große Wert darauf gelegt wird, dass auch Frauen und Männer untereinander heiraten können, könnte man auch sagen, es ist doch erstaunlich, dass plötzlich diese formale Bindung wieder so eine Rolle spielt. Noch in den 60er- und 70er-Jahren lautete der Hauptvorwurf an die Ehe, dass sie ein emotionales Phänomen wie die Liebe institutionalisieren wolle. Heute ist es witzigerweise so, dass viele, die die Ehe damals um jeden Preis abschaffen wollten, es anders sehen. Daran kann man vielleicht auch die Langlebigkeit des Phänomens erkennen und dass es bis dato durch nichts anderes ersetzt wurde.

Sie lesen am Donnerstag im Fontane-Archiv. Fontane selbst kommt in ihrer Analyse allerdings denkbar schlecht weg. Für Sie ist „Effi Briest“ blass, an manchen Passagen hört man den Lektor heraus, der am liebsten am Manuskript gefeilt hätte.

Das ist ein kleiner Scherz von mir. Es gab damals noch keine Lektoren.

Halten Sie die literarische Qualität von „Effi Briest“ denn für überwertet?

Das ist eine sehr komplexe Frage. Dazu war letztlich ein ganzes Buch notwendig. Gegenüber dem gewaltigen Epos von Anna Karenina in seiner ungeheuren Vielschichtigkeit oder auch gegenüber Flauberts Roman in seiner literarischen Perfektion ist Fontane ganz offenkundig nicht von gleicher Kraft. Das hängt natürlich mit der Entwicklung der Literatur zusammen. In der französischen Literatur gab es die große Traditionslinie des Gesellschaftsromans, die in der deutschen Literatur erst mit Fontane beginnt.

In Ihrem Buch deuten Sie darauf hin, dass Fontane sicherlich Flauberts Roman kannte.

Meines Wissens ist immer das Gegenteil behauptet worden, dass Fontane Flaubert nicht gekannt hat. Man muss sich Fontane nur mal vorstellen als Leser von Madame Bovary. Wie würde er reagieren?

Vielleicht angeekelt von der Bösartigkeit seiner Beschreibungen ...

Ja, bei aller Bewunderung für das literarische Können Flauberts. Etwas, was Fontane ganz zuwider sein muss, ist die Art, wie Flaubert mit seinen Figuren umgeht: Er stellt seine Figuren von vornherein so hin, dass sie in ihr Verderben rennen müssen. Flauberts Beweis, dass alle Figuren von einer fast gleichen bürgerlichen Dummheit sind, ist für Fontane ein völlig absurder und überflüssiger Beweis. Er würde dementgegen dazu neigen wollen, das, was selbst in den beschränktesten Alltagsfiguren an Menschlichkeit zu retten ist, zu retten. Das versucht er ja in seinem Roman. Ob das am Ende aufgeht, ist eine andere Frage.

Sie schreiben eine literaturwissenschaftliche Interpretation, die sich ganz hervorragend liest. War es Ihnen ein Anliegen, Wissenschaft unterhaltsam zu vermitteln ?

Ich habe den Vorteil, dass ich nicht mehr an der Universität arbeite und nicht gezwungen bin, sagen wir, mal den Dialekt, der an der Universität im Schwange ist, zu bedienen. Wissenschaftlich ist jede einzelne Sache überprüfbar, natürlich auch diskutierbar. Letztlich ist das Buch der Versuch, ob man Wissenschaft nicht auch als Komödie schreiben kann. Das Gespräch führte Grit Weirauch

Wolfgang Matz präsentiert am Donnerstag um 19 Uhr sein Buch „Die Kunst des Ehebruchs“ im Theodor-Fontane-Archiv, Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47

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