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Wozu der Stress? Am schönsten ist das Leben doch auf der Couch, oder? Johannes Heinrichs findet als Kater (l.) langsam aus der Komfortzone heraus.

© Göran Gnaudschun

Kultur: Die Welt geht hinterm Klo erst los

Ein bisschen weniger dick aufgetragene Moral hätte dem neuen Kinderstück des Hans Otto Theaters „Die faulste Katze der Welt“ gut getan. Die Schauspieler bringen den Witz auch so sehr gut rüber

Stand:

Das Ende der Welt ist nah, es liegt gleich um die Ecke. Hinter der Hütte von Nachbarhund Rudi nämlich. Bis dorthin schleppt sich Kater immer dann, wenn er mal muss. Das Ende der Welt ist Katers Klo. Und es heißt so, weil es tatsächlich den äußersten Grenzpfosten seiner Welt darstellt. Die große Anstrengung, sich vom Zentrum der Welt bis hierhin zu bewegen – sind es fünf Schritte oder zehn? – unternimmt Kater daher wirklich nur im äußersten Notfall und nach allen denkbaren Etappen der Selbstverleugnung. Am liebsten bleibt Kater im Zentrum seiner Welt, auf dem Sofa. Von hier aus lassen sich, mithilfe der Freundin Schnecke, alle Punkte auf seiner eng gestrickten Tagesordnung außer besagtem Klogang trefflich erledigen: aufwachen (eine Stunde lang), Gymnastik (Schnecke kriecht ihm unter die Achsel und hebt den Arm), essen (Fisch und Fisch und Fisch), Verdauungsschläfchen (der Lieblingsprogrammpunkt), Bildungsprogramm (Fernsehen).

Gut, viele würden sagen: Kater, die Hauptfigur im neuen Kinderstück des Hans Otto Theaters, ist nicht der Aktivste. Obwohl der Titelheld von „Die faulste Katze der Welt“ das selbst anders sieht, denn er nimmt seine Tagesordnungspunkte ernst. „Ich bin total beschäftigt“, sagt er immer. Um dann zum Beispiel nachzusetzen: „Na, mit Aufwachen natürlich!“ Weniger beliebter, aber unausweichlicher Tagesordnungspunkt ist „11.45 Uhr: Ärgern“. Da kommt nämlich bekannter Nachbarshund Rudi zum Fußballtraining vorbei und verbreitet schrecklichen Aktionismus, was unserem schläfrig-beschäftigten Kater gar nicht gefällt. David Kramer als schlappohriger lederhosentragender Rudi dribbelt seinen luftlosen Ball über die Bühne, schießt ungelenk in alle Richtungen – und trifft nur selten. Aber: Als er weg ist, hat Kater einen Floh, und damit geht die Geschichte erst richtig los. Denn um den Floh loszuwerden, hilft nur ein neuer Abnehmer, hat Kater im Bildungsprogramm gesehen. Und dafür muss er hinterm Ende der Welt weitergehen, nach draußen.

Katers Kratz-Not macht ihn nicht nur beweglich, sondern auch erfinderisch. Draußen, in der großen kleinen Welt vor seiner Haustür, trifft er auf ein Meerschweinchen und erklärt sich zum Frisör. Trifft auf eine Kuh und erklärt sich zum weltbesten „Wald-, Wiesen- und Kammerjäger“, trifft auf Rudi und erklärt sich zu dessen großer Verwunderung zum besten Trainer aller Zeiten. Luisa Charlotte Schulz spielt Schnecke, Meerschweinchen und Kuh in charmantem Wechsel. Wie Johannes Heinrichs als Kater sich beim Haareschneiden, beim Fliegenfangen oder beim Fußballerklären verrenkt, sich möglichst unbemerkt am anderen Tier reibt, um so den Floh loszuwerden, das ist sehr lustig anzusehen. Lustiger noch, dass es natürlich nie klappt – erst am Ende, aber wie, das soll hier nicht verraten werden.

Natürlich findet Kater bei der Gelegenheit auch heraus, dass ein bisschen Bewegung niemandem wehtut und dass die Welt hinterm Klo erst losgeht. Etwas weniger offensichtliche Freude an dieser sicher wichtigen Erkenntnis hätte der Inszenierung von Marita Erxleben und dem Text von Gertrud Pigor jedoch gut getan. „Mach dich auf die Socken, bleib nicht zu Hause hocken!“, singen alle Beteiligten am Ende unterm Buntlicht, und tischen damit ein paar Löffel zu viel Moral von der Geschicht’ auf. Auch die eingestreuten literarischen Verweise à la „Hier bin ich Katz, hier darf ich’s sein!“, wohl, damit die erwachsenen Begleiter sich klug fühlen dürfen, wirken recht neunmalklug. Lustiger als die auf Teufel komm raus gestrickten Reime („Glück und Glas, wie leicht bricht daaas“) sind die mit großer Schauspielkraft und sehr menschlich gespielten Tiere auf der Bühne. Allen voran der Floh (ebenfalls David Kramer), der, anders als in der Kinderbuchvorlage von Franziska Biermann, hier auch zu Wort kommen und ziemlich ausgefeilt Saxophon spielen darf. Dieser Floh, lernen wir, ist ja bei aller Chuzpe ein ziemlich melancholisches Wesen: Niemand will ihn! Dabei will er, der Geschmähte, doch eigentlich nur, was alle wollen: eine gemütliche Sofamulde, einen guten Drink – und, das ist die Flohlektion, ein bisschen Abwechslung. Lena Schneider

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