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Der gemeinsame Blick der Erleuchtung. Friederike Walke, Bastian von Bömches, Bardo Böhlefeld und Alexandra Saldow (v.r.n.l.) in „Der König hinter dem Spiegel“.

© HOT/Göran Gnaudschun

Premiere am HOT: Die Welt ist größer geworden

Poetisch, aber wenig handlungsreich: Rudolf Herfurtners Kinderstück „Der König hinter dem Spiegel“ wurde am Hans Otto Theater uraufgeführt. Durch seine überzeugende Erzählweise konnte es dennoch auch Erwachsene fesseln.

Stand:

Der Sturm peitscht durch die Wüste und wirbelt die Vögel durch die Luft. Atemlos sitzen die Zuschauer vor dieser imaginären Kulisse und fühlen sich vom Aufbäumen der Naturgewalt förmlich mitgerissen. Dabei sind es nur gut gesetzte Licht- und Schattenspiele sowie lang von der Decke herunterhängende, sich im Wind bewegende weiße Schaltücher, die die Atmosphäre aufheizen und das Bühnentreiben in faszinierende Turbulenzen tauchen. Auch die Musik schürt dieses Mitfiebern. In dem Kinderstück „Der König hinter dem Spiegel“ von Rudolf Herfurtner, das am Donnerstagvormittag in der Reithalle des Hans Otto Theaters uraufgeführt wurde, geht es an die Grenzen. Und bis an das Ende der Welt.

Die drei Helden Fledermaus, Spatz und Nachtigall müssen tiefe Meere und vereiste Berge überwinden – und eigentlich doch nur zu sich selbst finden. Dieses Erkennen eigener Sehnsucht und verborgener Stärken ist indes kein esoterischer Selbstfindungstripp. In der federleichten Inszenierung von Marita Erxleben wird den kleinen Zuschauern nichts übergestülpt. Es gibt kein philosophisches Monsterwesen, das ihnen auf den Leib rückt. Sie sind zu einer Abenteuerreise eingeladen und sichtlich berührt lassen sich die Kinder vereinnahmen von all den Aufregungen, die man in der Fremde erleben kann. Natürlich kommt es bei so einer Tour auch auf die Mitreisenden an, die man am besten kennenlernt, wenn man in Not gerät. Steht einer für den anderen ein oder kneift er feige? Fledermaus, Spatz und Nachtigall erweisen sich bei diesem Wagnis als echte Freunde. Und ist die Not zu groß, helfen Fremde, wie Steinhuhn, Schwan und Geier. Gerade in ihrer Andersartigkeit profitieren alle voneinander. Die Regisseurin hat aus diesen Figuren ausdrucksstarke lebendige Charaktere geformt, die für urkomische Situationen, aber auch für Momente des Innehaltens sorgen. Wenn nämlich die Angst wächst, dass einer der Freunde beim Kampf gegen das aufbrausende Meer oder in den undurchdringlichen Nebelschwaden auf der Strecke geblieben sein könnte. Auch das Thema Tod wird nicht ausgespart, ohne es zu sehr auszustellen. Auch hier trifft die Inszenierung genau den richtigen kindgerechten Ton.

Es ist eine Mutmachgeschichte, die Rudolf Herfurtner nach einer der ältesten Überlieferungen der persischen Literatur erzählt. Ein Stoff, den schon Theatergrößen wie Peter Brook auf die Bühne brachten. Und auch die Leiter vom Glindower Wandertheater Ton und Kirschen, Margarete Biereye und David Johnston, erarbeiteten mit Studenten der Schweizer Scuola Teatro Dimitri eine originelle Bewegungstheaterfassung nach diesem alten persischen Versepos vom Dichterfürsten Farud Du-Din Attar aus dem 12. Jahrhundert. Während ihre „Konferenz der Vögel“ im Dezember in der „fabrik“ vor allem durch die exzellente Körpersprache bestach, setzt Regisseurin und Choreografin Marita Erxleben auf alle Stimmen des schauspielerischen Kanons. Ihre vier Darsteller überzeugen in ihrer so unterschiedlichen Ausformung der Figuren: Bardo Böhlefeld gibt einen neugierigen, ausgelassenen, aber auch ängstlichen Spatzen, der gerade flügge geworden ist und am liebsten die Welt aus den Angeln heben will. Bastian von Bömches hat vor allem durch seinen Sprach- und Spielwitz die Lacher auf seiner Seite. Als Fledermaus ist er der ewige Hinterfrager, der die Gefahren meiden und lieber Zuhause bleiben will. Aber da ist seine Freundin, die Nachtigall, die in ihrem goldenen Käfig sitzt, und der er jeden Morgen über seine nächtlichen Ausflüge berichtet. Sie ist es, die die Stimme des Simurgh vernimmt.

Simurgh, dieser Vogelkönig, der im fernen Gebirge Qaf leben soll. Keiner hat ihn bisher gesehen, und so wurde er fast vergessen. Aber nun wurde in China eine Feder von ihm gefunden. Offensichtlich ruft er alle Vögel zu sich. Die Nachtigall ist wie besessen von diesem Ruf aus der Ferne. Gerade sie, die so lange gefangen war, vergeht vor Sehnsucht. Sie ist die Antreiberin, wenn die anderen geschwächt und durstig aufgeben wollen. Friederike Walke gibt dieser Nachtigall eine wunderbare Wärme und Anmut. Mit List und Hintersinn weiß ihre kluge Nachtigall auch Steinhuhn, Schwan und Geier für sich zu gewinnen, als Helfer durch die Gefahren. Alexandra Saldow wechselt in diesen drei witzig schrägen Unterstützerrollen farbenreich Kostüm, Gestalt und Seele.

Die Regisseurin fand für diese sehr poetische, aber nicht wirklich ereignisreiche Handlung eine überzeugende Erzählweise, mit der sie die Kinder, aber auch die Erwachsenen zu fesseln versteht. Vor allem weil sie – wie auch in dem Stück postuliert – auf das Zusammengehen setzt. Mit dem schlichten, aber so wandlungsreichen Bühnenbild und den zauberhaften Kostümen von Alexandra Hahn verschränken sich die Erzählweisen im spannungsvollen Dialog. Und auch die Herz-Schmerz-Musik von Andreas Lange und die Videomalerei von Yeni Harkanyi untersetzen diese Gratwanderung zwischen Poesie und Spannung mit eindringlicher Kraft. Selbst das wenig spektakuläre Ende findet eine deutungsvolle Umsetzung: Der goldene Käfig der Nachtigall verwandelt sich in das Schloss des Simurgh. Die Gitterstäbe sind weg. Die Welt ist größer geworden.

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