Kultur: Die Wende als Revolution
Der Herbstumbruch 1989 aus der Sicht des Potsdamer Historikers Martin Sabrow
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Wende oder Revolution? Mit dieser Frage stieg der Potsdamer Historiker Martin Sabrow am Donnerstag im Kutschstall in den gegenwärtigen „semantischen Krieg“ um Wortwahl und Deutungshoheit in den Erinnerungselegien im Jahr 20 nach dem Mauerfall ein. Der Herbstumbruch 1989 und die Geschichtswissenschaften waren sein Thema. Wenn einstige DDR-Führungspolitiker und Oppositionelle ihre Autobiographien zum „Herbst 1989“ auf den Büchermarkt bringen, prallen unterschiedliche Gedächtnisse und Geschichtsverständnisse aufeinander. Hier tun sich Arbeitsräume für den Historiker zur kritischen Analyse auf.
Im Osten Deutschlands grassiert heute, so Martin Sabrow, eine „Unlust“, den Begriff „Revolution“ zu benutzen. Der „Wende“-Begriff, laut Sabrow „kontaminiert von alten SED-Eliten“, wird gerade von der Mehrheitsgesellschaft, die den Umbruch passiv erlebte, weiterhin bevorzugt. Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Potsdam, sieht in diesem aktuellen „Streit der Wörter“ für „1989“ zwar eine „wissenschaftlich unergiebige“, jedoch „identitätsversichernde Debatte“, die in ihrer Bedeutung auch Rückschlüsse auf die Diskussionen über den Unrechtscharakter der DDR zulässt.
Der Vortrag Sabrows bildete den Auftakt einer wissenschaftlichen Veranstaltungsreihe. Und dem Namen „Forum Neuer Markt“ sollen während der nächsten acht Monate insgesamt 28 Beiträge Einblicke in die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte des Umbruchs 1989 bis 1991 geben. Dabei sollen Umbruchserfahrungen lokaler Ereignisse in Potsdam bis hin zu denen in den östlichen Nachbarstaaten Deutschlands thematisiert werden. Im Rahmen der von insgesamt acht Forschungs- und Kultureinrichtungen in Potsdam ausgerichteten Veranstaltungsreihe sind Vorträge, Diskussionsrunden, Lesungen, Filmvorführungen und Buchvorstellungen geplant. Unter anderem werden dann Themen wie „Aufarbeitung und Versöhnung“, „Die Medien und der Mauerfall“ und „Das Ende der DDR-Staatssicherheit“ behandelt. Sein Abschluss finden wird das „Forum Neuer Markt“ am 4. Dezember mit der Ausstellungseröffnung des Potsdamer „Hauses der Demokratie“ in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“.
Erregte Diskussionen auf den Veranstaltungen des Forums scheinen vorprogrammiert, steckt doch die Aufarbeitung der „Erinnerung an die DDR“ noch in den Anfängen und sind Stimmen, die von einem „Anschluss“ der DDR an die Bundesrepublik sprechen, landläufig verbreitet.
Daher verwunderten die einvernehmlichen Reaktionen im Publikum auf Martin Sabrows 40-minütigen Vortrag am Donnerstag. Der 55-jährige gebürtige Kieler erntete mit seinen pointiert und unterhaltsam vorgetragenen Überlegungen zum Wörter- und Begriffsstreit der Umbruchzeit viel zustimmendes Kopfnicken und zahlreiche Lacher unter den etwa 60 Besuchern im großen Saal des HBPG.
In der Frage der Begriffswahl für den „Herbst 1989“ kam der Historiker – aller Scheu vor Geschichtspathos, dem Mangel eines „Heldennarratives“ und der Unterschiedlichkeit der DDR-Gedächtnisse zum Trotz – zum Schluss, dass wegen der radikalen Veränderungen in der DDR-Gesellschaft von einer „Revolution“ gesprochen werden müsse. Der Begriff ist für Sabrow dabei eine rein „wissenschaftliche Kategorie“ und von „historischer Umsturzromantik“ befreit zu sehen.
Das Wort „Revolution“, so der Historiker gegenüber der PNN, habe seine Konjunktur erst in den letzten zehn Jahren erhalten. Für Sabrow ist die Diskussion um die Begrifflichkeiten unmittelbar mit der Debatte über den Unrechtscharakter der DDR verbunden. „Dieser Streit um die Etikettierungen hat heute eine ganz entscheidende Bedeutung gewonnen, auch wenn er wissenschaftlich weitgehend unergiebig ist. Dabei kommt es öffentlich mehr und mehr darauf an, mit einem Wort zu etikettieren. Wir befinden uns heute in einer Phase der Identität stiftenden Begriffsprägung“, erklärte Martin Sabrow. Eik Doedtmann
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