
© HL Böhme
Kultur: Die Wucht einer einzigen Nacht
Am morgigen Freitag hat „Schach von Wuthenow“ Premiere im Hans Otto Theater
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Einfach nur reden lassen. Dasitzen und zuhören, gelegentlich ein Stichwort geben und dabei Patrizia Carlucci und Marianna Linden einfach das Feld überlassen. Während der Mittagslärm in der Kantine des Hans Otto Theaters an- und wieder abschwillt, lässt man sich gefangennehmen von diesem Hin und Her zwischen den beiden Frauen. Und irgendwann fragt man sich, ob sie auch so wunderbar, so herzhaft streitbar und gleichzeitig liebe- und verständnisvoll miteinander umgehen, wenn sie am morgigen Freitag auf der Bühne stehen: Marianna Linden als Josephine von Carayon, Patrizia Carlucci als deren Tochter Victoire in der Premiere von „Schach von Wuthenow“.
Ganz ehrlich, ein wenig verwundert war man schon, dass Tobias Wellemeyer, Intendant am Hans Otto Theater, die neue Spielzeit ausgerechnet mit dieser „Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes“ eröffnen würde. Gut, Theodor Fontane hat sie geschrieben. Und es geht um Preußen. Wir schreiben das Jahr 1806. Es ist die Zeit der Koalitionskriege. Wieder einmal werden die Karten im Spiel um die Vormachtstellung in Europa neu gemischt. Napoleon ist auf dem Vormarsch und in der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober wird Preußen eine schwere Niederlage erleiden. Im Salon der Frau von Carayon in der Berliner Behrenstraße ahnt noch niemand das bevorstehende Debakel. Doch die berühmte Ruhe vor dem Sturm, die leichten tektonischen Verschiebungen, die die bevorstehenden Auseinandersetzungen von Alt gegen Neu andeuten, sind für jeden spürbar. Und in dieser Situation der trügerisch-gespannten Ruhe lässt Fontane das scheinbar Unmögliche geschehen.
Schach von Wuthenow, Rittmeister beim Berliner Eliteregiment Gensdarmes, ein Vertreter der alten Ordnung, geht mit Victoire ins Bett. Ausgerechnet mit Victoire, deren Gesicht nach einer schweren Erkrankung von Blatternarben entstellt ist. Ausgerechnet mit Victoire, wo er doch ihrer Mutter den Hof gemacht hatte. Der Skandal ist perfekt, doch die Etikette müssen gewahrt werden. Also tut Schach von Wuthenow seine Pflicht und heiratet Victoire. Aber akzeptieren kann er diese neue Situation nicht und so richtet er sich in der Hochzeitsnacht selbst.
Eine fast schon etwas plakative Dreiecksgeschichte, die Fontane hier vor dem Hintergrund großer politischer Entscheidungen im Europa des 19. Jahrhunderts erzählt. Und beginnt man „Schach von Wuthenow“ zu lesen, braucht es seine Zeit, bis all die Anspielungen und Selbstverständlichkeiten einigermaßen verstanden werden und man sich des eigenwilligen Duktus angenommen hat. Und bei fast jeder Seite die gleiche Frage: Will man das auf der Bühne sehen?
Auch Patrizia Carlucci und Marianna Linden hatten Schwierigkeiten, einen Weg in diese Novelle zu finden. Stück für Stück, mit Unterbrechungen, haben sie sich durch „Schach von Wuthenow“ durchgearbeitet. Aber Marianna Linden genügte schon ein Blick in das Textbuch für die Bühnenfassung unter der Regie von Tobias Wellemeyer und ihr war klar, dass das so auf die Bühne muss, denn die Figuren und Charaktere, die Fontane hier zeichnet, sind so vielschichtig, so interessant und in ihren Konflikten auch so gegenwärtig. Durch diese Bühnenfassung hat sich Marianna Linden immer mehr Fontanes Novelle genähert, bis sie diese sogar in Kopie in ihr Textbuch geheftet hat.
„Beim ersten Lesen habe ich gar nicht verstanden, was für große Konflikte da überhaupt existierten, weil mir einfach die Hintergründe fehlten“, sagt Patrizia Carlucci. Aber wie bei Marianna Linden hat sich ihr die feine und vielschichtige Welt Fontanes durch die intensiven Proben, die Auseinandersetzung mit den Rollen und durch die Gespräche mit ihren Kollegen eröffnet. Und immer mehr hat sie das Verhältnis von Victoire und ihrer verwitweten Mutter verstanden. Wie eng diese Verbindung doch ist, obwohl sie so unterschiedlich sind. Die Mutter als Schönheit, umworben von den Männern in ihrem Salon; die Tochter als Entstellte, die von der Männerwelt nichts zu erwarten hat und entsprechend selbstbewusst und provokant auftritt.
„Victoire durchschaut dieses erotische Spiel der Oberflächlichkeiten, das sich regelmäßig im Salon ihrer Mutter entspinnt. Durch die Krankheit, die sie fast das Leben gekostet hat und von der der Makel der Entstellung geblieben ist, kann sie klarer sehen, versteht das alles ganz genau“, sagt Patrizia Carlucci. Da widerspricht hier Marianna Linden auf eine sanfte, fast neckische Art, dass Victoire ganz so deutlich das Spiel um sich herum doch nicht durchschauen würde. Und es entspinnt sich dieses Hin und Her, so als würden hier in der Theaterkantine auf einmal die Witwe Josephine von Carayon und ihre Tochter Victoire sitzen. Die Ältere gibt sich milde und blickt verständnisvoll auf das jugendliche Ungestüm der Jüngeren. Und wenn Patrizia Carlucci fast schon ruft, dass niemand, aber auch niemand nur einen kurzen Augenblick daran geglaubt hat, dass zwischen Victoire und Schach von Wuthenow an diesem verhängnisvollen Abend mehr war als nur eine kurzzeitige Verwirrung, dann in einer Überzeugung und einem stillglücklichen Wissen, dass diese Victoire förmlich zum Leben erwacht. Und wenn Marianna Linden sagt, dass sie es nicht hat glauben können, dass Schach von Wuthenow nur besoffen gewesen sein kann, dann sitzt einem die desillusionierte Josephine von Carayon gegenüber.
So lässt man Patrizia Carlucci und Marianna Linden reden, von der Freundschaft zwischen Mutter und Tochter, die dann zur Konkurrenz wird, vom steifen Korsett gesellschaftlicher Normen. Und je länger man diesen beiden Frauen zuhört, sie in ihrer Begeisterung beobachtet, umso stärker wird die Gewissheit: Ja, diesen „Schach von Wuthenow“, mit diesen beiden Schauspielerinnen, will man auf der Bühne des Hans Otto Theaters sehen.
Premiere am morgigen Freitag, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 118
Dirk Becker
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