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Film, Performance oder doch ein düsterer Traum? „PuppetCinema“ aus Tel Aviv erzählen mit vielen Mitteln ruhig und sehr konkret vom Krieg.

© Yair Meyuhas

22. Unidram-Festival in Potsdam: Die Wüste Hoffnung

Mit dem ungewöhnlich erzählten Stück „Salt of the Earth“ aus Israel eröffnete das 22. Unidram-Festival.

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Alles, was sie sich sagen könnten, tut weh. Drum erzählen sie sich nichts, können sich so gut wie nichts fragen und bleiben allein, auch in Gesellschaft. Das ist vielleicht das dunkelste Geheimnis aller Flüchtenden: Dass man vor dem, was man gesehen und erlebt hat, nie ganz davonlaufen kann.

In Zvi Sahars Stück „Salt of the Earth“, mit dem am Dienstagabend das 22. Unidram-Festival auf der großen Bühne der fabrik eröffnet wurde, sind es Rafi und Mahmud, ein Jude und ein Araber, die nach Ein Harod wollen, einer Enklave der Freiheit. Beide – und doch jeder für sich – fliehen vor einer im Grunde nicht näher definierten Gewalt. Klar, es handelt sich um eine Militärdiktatur, die die Gewalt in Israel an sich gerissen hat. Einem dystopische Israel, einem, das das krasse Gegenteil von dem zu sein scheint, was alle, die dorthin reisen, sofort in seinen Bann zieht. Statt Leben und Wärme herrscht hier Leere. Stille. Apokalypse.

Die Macht, die hier herrscht, ist unerbittlich und so sinnlos grausam, dass sie gar keiner Ideologie oder Religion bedarf. Sie ist ein waberndes, ungreifbares Wesen, das nur noch zum Selbstzweck zu existieren scheint – und mit dem sich auch nicht mehr verhandeln lässt. Weil ihr nichts und niemand mehr etwas wert ist. Kein Freund, keine Frau. Nicht einmal, als Rafi aus der Höhle tritt, in der er und ein paar andere Widerständler sich auf ihrer Flucht verstecken, und ein Mädchen, vielleicht die Liebste des feindlichen Generals zum Tausch gegen Freiheit anbietet. „Es gibt nichts Vollkommeneres als ein gebrochenes Herz“, bekommt er zu hören. So einer Macht ist man natürlich völlig und total ausgeliefert.

Dass das Ganze so beklemmend ist, hat viel mit Zvi Sahars Art des Erzählens zu tun. Es ist kein klassisches Theater mit Protagonisten, Schauspielern, das er und sein Team – Michal Vaknin, Yuval Fingerman, Shai Egozi und Aya Zaiger – hier liefern, sondern etwas irgendwie nie Gesehenes, das doch seltsam vertraut wirkt, so wie es düstere Träume oft sind. „PuppetCinema“, nennt sich das, erst 2009 hat der Regisseur, Schau- und Puppenspieler Zvi Sahar die Kompanie gegründet, seitdem arbeiten sie mit Film, Dokumentarischem, Puppen und Objekten. Und mit dieser Methode schaffen sie es, etwas zu erzählen, für das es keine Worte gibt – und für das alle üblichen Bilder schon lange ausgelutscht sind. Eben auf die Art, wie auch Träume Bilder für das namenlose Grauen schaffen können.

Bei „Salt of the Earth“ verschütten sie erst einmal eimerweise Salz. Ein performativer Akt, sie bauen sich damit ihr Bühnenbild, eine weiße, unwirtliche Wüstenlandschaft. Durchschritten wird sie von einem Flüchtling – einer Puppe, die ans japanische Bunraku-Theater erinnert. Oder erinnern würde, würde sie nicht etwas tragen, das an die Uniformen der IDF, der israelischen Armee, erinnert. Durchschreiten ist auch nicht ganz richtig, eigentlich wird sie getragen von zwei, drei Schauspielern des „PuppetCinema“ – und ein vierer filmt.

Das ist es auch, was das „PuppetCinema“ einerseits den Namen verleiht und andererseits so irritierend anders macht. Denn sobald die Bilder dessen, was auf der Bühne passiert, über die Leinwand flackern, sind sie das einzige, was zählt, sind sie die Realität. Was absurd ist, weil sie viel vom Handwerklichen, vom Prozesshaften, Konstruierten der Szenen aussparen. Die Bilder sind vielmehr Erzählung, vielmehr Geschichte als das, was in Wahrheit passiert. Was von „PuppetCinema“ natürlich auch als kritische Frage an die Macht der Medienbilder gemeint sein kann.

Bei all diesem theoretischen Überbau – der eigentlich keiner ist, weil alles wie von selbst ineinandergreift – schafft es Zvi Sahar, sein Konstrukt aus Salz, Musik, Kameratechnik und Kinderspielzeug, Puppen und Menschen in die Sphäre der Kunst zu ziehen. Das passiert ganz mühelos, einfach, indem er erzählt. Auf Hebräisch, was in der bis auf den letzten Platz besetzten fabrik die wenigsten verstanden haben dürften. Die deutschen Übertitel haben das ausgeglichen – aber auch die Kraft seiner Stimme, die zeigt, dass Erzählen eben mehr ist als die Bedeutung der Worte. Noch so eine Erkenntnis des Abends also: Menschen können einander verstehen, auch ohne dieselbe Sprache zu sprechen.

Trotzdem waren die deutschen Übertitel gut, weil der Text, auf dem das Stück basiert, voller Wortwitz, Weisheit und Humor ist. „Wer den Verlauf der Geschichte ändern will“, heißt es etwa, muss sie nicht vorhersehen – sondern „von hinten ficken“. Der Text stammt aus dem israelischen Roman „The Road to Ein Harod“ von Amos Kenan. Kenan, 1927 in Tel Aviv geboren, kämpfte 1948 im arabisch-israelischen Krieg – und wurde später zum Friedensaktivist. „Die Straße nach Ein Harod“ ist sein berühmtestes Werk, auch wenn er heftig für diese apokalyptische Vision von Israels Zukunft kritisiert wurde. Er hielt dagegen: „Wenn ihr denkt, das ist Science Fiction, seid ihr verrückt. Eigentlich ist es eine Dokumentation“, soll er gesagt haben. Und zwar 1984, als das Buch erschien. Dass der Text – und damit auch Zvi Sahars Stück angesichts der aktuellen Welle palästinensischer Terrorattacken – gerade mal wieder brennend aktuell erscheint, zeigt, dass er damit zumindest nicht ganz unrecht hatte.

Das Stück ist aber auch auf einer größeren Ebene aktuell. Denn auch wenn der Text sich immer wieder lokal verortet, zwischen Tel Aviv, Jaffa und eben Ein Harod, ist das, was die Flüchtenden erfahren, universell. Dabei hilft, dass eben keine Ideen, politischen Linien oder Agendas gegeneinander ausgespielt werden, sondern die Gewalt eine fast vom Menschen losgelöste, eigene Kraft darstellt.

Die zeitlose politische Wucht dieses und weiterer Stücke lobte auch Birgit-Katherine Seemann, Potsdams Fachbereichsleitern für Kultur, in ihrer Ansprache. Unidram, sagte sie, frage diesmal stärker denn je nach dem Verhältnis von Kunst und Politik. „Das ist eine wunderbare Entwicklung, denn die politische Wirklichkeit lässt sich nicht mehr ausblenden“, sagte sie. Was vielleicht doch ein wenig am Kern vorbeigeht, denn die Funktion von Kunst war und ist es immer, Politik und Gesellschaft eben nicht im engen, kleinlichen Rahmen der so genannten Sachzwänge zu betrachten, sondern in große, neue, nie gedachte Zusammenhänge zu stellen. Und das funktioniert eben nur mittels der Ästhetik. Nur dann kann es werden wie in „Salt of the Earth“, als sich die Flüchtlinge für in einer schutzbietenden Höhle um ein Feuer scharen – und für einen kurzen Moment vergessen, wo sie sind – und mit wem: „Es war beinahe schön.“ Denn auch, wenn sich eine Utopie wie Ein Harod vielleicht nie erreichen lässt – für das Menschsein kommt es darauf an, sie nicht aus den Augen zu verlieren.

Das Unidram-Festival findet noch bis Samstag auf dem Gelände der Schiffbauergasse statt. Täglich ab 19 Uhr sind Stücke von Kompanien aus Israel, Spanien, Tschechien, Polen und Deutschland zu erleben.

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