Kultur: Die zweigeteilte Stadt
Der Autor und die Platte: Thomas Freyer im Porträt / Das Hans Otto Theater spielt auf dem Schlaatz
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„Problemgebiet“. „Sozialer Brennpunkt“. Thomas Freyer behandelt die Worte wie jemand, der weiß, dass man Inhalte mit Etiketten leicht zerdrischt. Erst meidet er sie, dann hält er sie sich mit Anführungszeichen vom Leib. Vielleicht, weil der Autor oft mit gerade diesen Schlagzeilen kompatiblen Stichworten verbunden wird. Auch wer von seinem jüngsten Stück spricht, kommt um die Schlagworte nicht herum.
Wieder spielt es in einer Gegend, wo wenige hin, aber so mancher weg will. „Schlaatzstück“ heißt es. Plattenbauten: Als roter Faden ziehen sie sich durch die Arbeit des jungen Autors. Bis er 19 ist und Thüringen Richtung Berlin verlässt, wohnt Thomas Freyer selbst in Lusan, dem größten Neubaugebiet in Gera. Seitdem sieht er den Ort nach und nach verschwinden. Von drei Wohnungen, die die fünfköpfige Familie in Lusan bewohnte, steht jetzt noch eine. Nicht der Plattenbau, die „tote Form“, ist für ihn so etwas wie Heimat, sondern das lebendige Viertel, in dem er aufwuchs. Auch davon ist nicht mehr viel übrig. Wo zur Wende 43 000 Menschen wohnten, lebt heute noch gut die Hälfte. Entfremdend, wenn einstige Behausungen so einfach ausgelöscht werden, sagt er. Als die Mauer fiel, war er acht. Mein Thema ist das der Nachwende-Generation, wird er später sagen. Der Wegfall einer Heimat als Örtlichkeit, eine Art Wurzel, die es nicht mehr gibt. Die schwindende Platte als Bild dafür.
Was Thomas Freyer an dem mit viel Aufwand hochgepäppelten Schlaatz in Potsdam interessiert, ist vor allem, was man nicht sieht. „Was soll hier verborgen werden?“ fragt er sich angesichts der bunten Fassaden. Gewiss, eigentlich ist der Schlaatz eine Erfolgsgeschichte. Im Gegensatz zu Lusan nimmt die Bevölkerung hier nicht ab, sondern zu, für sechs Millionen wurde gemalert, gebaut. Wenig Fremdenfeindlichkeit, junge Einwohner. Für Freyer jedoch deckelt der neue Anstrich ein Problem, das tiefer liegt. „Potsdam ist eine zweigeteilte Stadt, in der Mitte die Havel. Hier arm, dort reich.“ Der Schlaatz, sagt er, ist eine Zuflucht für Leute, die sich Mieten in Babelsberg oder der Berliner Vorstadt nicht mehr leisten können. „Potsdam hat sich für seine Schlösser-Seite entschieden.“
Mit „Von Schlössern und Schlaatzen“ wollen er und Regisseurin Ulrike Hatzer den Riss durch die Stadt thematisieren, „die Menschen aus ihren Nischen holen.“ Dazu führen zunächst Schauspieler des Jungen Theaters vom Hans Otto Theater Thomas Freyers „Schlaatzstück“ auf: Unter freiem Himmel und mitten im Schlaatz.
Im Mai dann das „Rückspiel“: Jugendliche aus dem Schlaatz und vom Stern spielen im Theater das zusammen mit Thomas Freyer erarbeitete „Schlösserdrama“. Genug Gelegenheit für beide Seiten, einander zu begegnen – so sie das wollen. Was auch dabei herauskommen mag, mit einer Idee überzeugt Freyer schon jetzt. Wenn es ihn gibt, den „sozialen Brennpunkt“, dann heißt der nicht „Schlaatz“. Sondern „Potsdam“.
Seit dem Erstling „Amoklauf mein Kinderspiel“, angelehnt an die Erfurter Ereignisse von 2002, beim Theatertreffen 2006 ausgezeichnet und seitdem bundesweit zu sehen, wird Thomas Freyer mit bröckelnden Ost-Biographien assoziiert. Seine Charaktere – Arbeiter, Arbeitslose, Rentner – sind oft so brüchig wie die Häuser, in denen sie leben. Sein zweites Stück, „Separatisten“, macht die abgeschlossene, halb resignierte, halb nostalgische Welt einer Neubauviertel-Gemeinschaft der Nachwendezeit zum Thema. Der Ort als der Seelenspiegel seiner in der Vergangenheit festgeklebten Bewohner: „Wir hängen fest“, sagt Johan in „Separatisten“. „In dieser Landschaft. In diesem Dreck, den wir nicht mehr abschütteln. Fest in einem Land, mit dem wir uns bewerfen“. Johan wird sich dagegen wehren. Wird einen Zaun um den Block bauen, um seine utopische Gemeinschaft einzuschließen.
Stereotype Ossis? Obwohl es auch bei Thomas Freyer Mauler und Langzeit-Arbeitslose gibt, führt er scheinbar bekannte Gestalten überraschende Wege, stellt sie nicht aus, lauscht in sie hinein. „Ich will nicht denunzieren oder vorführen. Sondern mitfühlen“. Und er lässt sie nicht ins Messer rennen. Vieles ist hier grau, aber nichts hoffnungslos. Für Distanz ist in Freyers um Aufrichtigkeit bemühtem Schreiben wenig Platz. „Die entsteht, wenn sich der Autor als der Klügere gibt, sich über die Figuren stellt. Das kann ich nicht und will es auch nicht.“ „Faul“ nennt er die Tendenz der Dramatik zur allgegenwärtigen Ironie. Sich darin zu sühlen, ist ihm zu einfach.
Das macht Thomas Freyer nicht nur zu einer Ausnahmeerscheinung im zeitgenössischen Theater, sondern auch angreifbar. Als „Separatisten“ 2007 uraufgeführt wurde, warf man ihm neben Ironielosigkeit auch Naivität vor, sogar Ostalgie. Naiv, ja, das war sogar gewollt. Aber ostalgisch? Wer das denke, verwechsele den Autor mit seinen Figuren.
„Schlaatzstück“, Premiere am 26.April, 19.30 Uhr, Amphitheater im Schilfhof am Schlaatz; „Schlösserdrama“, Premiere am 17. Mai , 19.30 Uhr, Reithalle A
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