Interview mit dem Künstler Armando: „Diese Hände sind zu allem bereit“
Der in Potsdam lebende holländische Maler Armando stellt ab heute seine neuen Arbeiten im Kunstraum-Waschhaus vor
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Die knochigen Finger sind weit auseinandergespreizt. Sie erinnern an Tentakeln fleischfressender Pflanzen – jederzeit zum Fang bereit. Aber sie sind auch befremdlich deformiert, als sei ihnen zu viel zugemutet worden. Die von dem in Potsdam lebenden holländischen Künstler Armando in den letzten Monaten fast wie besessen gemalten blutroten Hände und Gestalten überziehen die hohen weißen Wände des Kunstraums wie Zeichen einer tiefen, unverheilten Wunde. Wie unverdautes rohes Fleisch.
Armando, der auf seinen Rollator angewiesene 84-jährige Maler, lässt in einem Tempo Bilder entstehen, als sei ihm noch die geballte Kraft der Jugend zuteil. Doch es ist wohl mehr die Angst vor dem Ende, die ihn so treibt: Seine beiden „Grab“-Bilder in der Ausstellung winken mit ihren schwankenden Kreuzen mahnend herüber.
Obwohl er nur noch sitzend arbeiten kann, reduziert sich Armando keineswegs. Auch nicht in seinen Formaten. Er holt sich Hilfe ins Haus. Die Potsdamer Malerin Susanne Ramolla, die derzeit gegenüber im Container auf dem Schirrhof ausstellt, assistiert ihm in seinem Atelier im Kunsthaus am Ulanenweg. Sie hängt ihm die Leinwände so zurecht, dass er sie gut erreicht und sich auch mit den in Gummihandschuhen steckenden Fingern in die dick aufgetragene Farbe hineinarbeiten kann. Armando muss dabei immer wieder die Perspektive ändern, wenn aus dem oberen Bildrand der untere wird. Doch da helfen ihm die Zeichnungen und die vielen Gedanken, die zuvor bereits in das Werk geflossen sind. Armando ist ein Grübler, ein Philosoph und einer, der nicht von der Vergangenheit loskommt. Sein Lebensrad, das er ebenfalls rot getränkt auf schwarzem Untergrund am zentralen Platz in der Ausstellung zeigt, weist kräftige Unwuchten auf.
Armando erlebte als Junge in seinem Heimatort Amersfoort, wie dort die deutschen Besatzer zunächst ein polizeiliches Durchgangslager und später ein Konzentrationslager errichteten. Er sah auf seinem Weg zur Schule die vielen Lastwagen, die aus der Stadt hinaus in die Lager Sachsenhausen oder Buchenwald fuhren. Seine Familie versteckte zwei Studenten aus der Stadt, die zu Zwangsarbeiten nach Deutschland geschickt werden sollten. Sie wurden von Nachbarn verraten und schließlich doch abtransportiert. Die jungen Männer überlebten: mit schweren physischen und psychischen Schäden.
Armando malt in den größten Formaten, wühlt sich förmlich in die Farbe hinein – und doch bleibt da immer ein Rest. Etwas, was ihn einfach nicht zur Ruhe kommen lässt, über all die Jahrzehnte. Denn es sind längst keine Bilder mehr allein über das Erlebte im Zweiten Weltkrieg. Die Kriege haben neue Orte, neue Opfer gefunden. Armando scheint dagegen anzumalen: mit seiner ganzen Wut und Traurigkeit. Er selbst wirkt eher zurückhaltend, spricht in heiterer Gelassenheit, mit einem sympathischen Zug von Selbstironie. Er hat in seinem ereignisreichen Leben schon viel getan, um Geld zu verdienen „für diese blöden Farben, ohne die ich nicht leben kann“. Er schleppte als Hafenarbeiter schwere Säcke, boxte, füllte in Bierfabriken Flaschen ab. Letztendlich um die Hände frei zu haben für seine Kunst, die es bis nach Venedig zur Biennale, zur documenta nach Kassel und im vergangenen Jahr in das Deutsche Historische Museum Berlin geschafft hat.
„Hier in Potsdam habe ich weniger Ablenkung als zuvor in Berlin und kann den ganzen Tag denken“, sagt er. Doch er belässt es nicht bei dem Denken: Er schreibt, er malt. Unentwegt. „Wenn man jung ist, denkt man: morgen. Ich denke: jetzt!“. In farblicher Eintracht sitzt er mit dunkelroter Strickjacke und schwarzem Hemd inmitten seiner Bilder – als sei er nur kurz aus ihnen herabgestiegen. Die gemalten Hände auf den Leinwänden scheinen nach ihm zu greifen. Vielleicht zerrinnt auch die Schuld durch diese gespreizten roten Finger, lässt sie zerstieben und den schwarzen Untergrund beflecken. Diese Bilder ziehen hinein, stoßen ab, wühlen auf – wirken nach.
1996 hat Armando das erste Mal in der Schiffbauergasse ausgestellt, in der noch unsanierten Russenhalle. Dort zeigte er seine Schwarz-Weiß-Malereien. 2000 war er dann in der Gemeinschaftsausstellung „between the bridges“ dabei, gemeinsam mit Dennis Oppenheim und Rainer Fetting. Nun füllt er wieder als Solist die Arena der Kunst und lässt die Frage der Schuld wie lautlose Schreie von den Wänden hallen.
Armando hat gesehen, was Hände machen können. „Sie sind zu allem bereit.“ Diese Hände sind schon lange sein Thema, aber erst jetzt greifen sie in diesem einzigartigen Armando-Rot nach dem Betrachter. Armando malt auch weiter seine Bäume und Landschaften, „schuldige Landschaften“, wie er sie nennt, die so viel gesehen haben und trotzdem so friedlich daliegen, als sei nichts geschehen. Eine trügerische Natur, die die Vergangenheit unter sich begräbt. Doch bei Armando wird nichts kaschiert. Seine Bilder schälen heraus, was zu verschwinden droht. „Das hat man davon, wenn man alt wird. Man hat eine Vergangenheit und die ist anscheinend sehr wichtig für mich.“ Ein Kollege habe einmal zu ihm gesagt: „Ich kann alles malen, aber ich habe kein Thema.“ Er hat aufgehört zu malen. „Ich habe leider ein Thema und denke jeden Tag an die blöden Bilder. Es gibt so etwas wie einen Schaffensdrang.“ Es gibt noch viel zu schaffen für diesen Meister des Untergründigen, Verborgenen, der mit seinen Farben die Gefühle explodieren lässt. Und sie dennoch nicht besänftigen kann.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
Vernissage heute um 19 Uhr, Kunstraum-Waschhaus, Schiffbauergasse. Zu sehen bis 27. Oktober, Mi bis So, 12 bis 18 Uhr
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