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EIN GESPRÄCH MIT BOB BAHRA: „Dieses Freikaufen ist immer richtig“

Herr Bahra, mehr als 30 000 politische Häftlinge wurden aus den Gefängnissen der DDR freigekauft. Auch Sie gehörten dazu.

Stand:

Herr Bahra, mehr als 30 000 politische Häftlinge wurden aus den Gefängnissen der DDR freigekauft. Auch Sie gehörten dazu.

Nein, ich wurde gar nicht freigekauft.

Wie bitte?

Zumindest nicht offiziell.

Sie meinen im offiziellen Sprachgebrauch der DDR-Obrigkeit?

Ich wurde natürlich nicht entlassen aufgrund eines Freikaufs. Das stand nirgends. Ich wurde freigelassen aufgrund des Führungsabschlussberichts.

Und was stand in diesem Führungsabschlussbericht?

Das lässt sich nur aus den Akten rekonstruieren. Denn bei meiner Entlassung bekam ich ja nichts in die Hand. Weder ein Urteil oder sonst irgendetwas. Im Grunde hatte ich nicht mal einen Beweis dafür, dass ich gesessen habe.

Aber entlassen wurden Sie ja.

Genau, und in den Akten steht: „wegen guter Führung“.

Es muss doch aber einen Entlassungschein geben?

Den gibt es auch. Aber auf dem steht, dass ich aus der Strafvollzugsanstalt Berlin entlassen wurde. Da war ich nie. Ich wurde aus dem Cottbuser Gefängnis entlassen.

Vielleicht hat sich der Beamte beim Schreiben des Entlassungsscheins nur verschrieben.

Das war mit Sicherheit kein Fehler, da wurde bewusst „StVA Berlin“ reingeschrieben. Denn Cottbus war ja der „Freikaufknast“, das Entlassungscamp. Dort in Cottbus wurde festgelegt, ob man in den Osten oder in den Westen entlassen wurde. Und dann wurde man dort aufgepäppelt. Also drei Wochen lang gutes Essen, offene Zellen und Westzigaretten. Da wurde man schon ein bisschen vorbereitet auf das freie Leben. Aber offiziell hat es das natürlich nie gegeben.

Genauso wenig wie es offiziell einen Freikauf gegeben hat?

Genau, und die Form der Verschleierung ging sogar so weit, dass selbst Familienangehörigen falsche Tatsachen aufgetischt wurden.

In welcher Form?

Ich bin erst kürzlich wieder auf ein Schriftstück gestoßen, das damals an eine frühere Freundin von mir ging, mit der ich ein Kind habe. Es ging um die Klärung von Unterhaltszahlungen. Und man teilte ihr mit, dass ich im Juli 1969 in die Strafvollzugsanstalt Berlin verlegt wurde. Nur da war ich nie. Das ist schon interessant, diese Form der Verschleierung.

Das Freikaufen von politischen Häftlingen, kann das überhaupt eine Lösung sein?

Ob das eine Lösung sein kann, weiß ich nicht. Aber was ich sagen kann: Dieses Freikaufen ist immer richtig. Dass die, die es können, politische Häftlinge befreien auf der ganzen Welt. Grundsätzlich ist das immer richtig.

Sie wurden freigekauft, sind aber nicht in den Westen gegangen. Warum sind Sie ausgerechnet in dem Land geblieben, dass Sie ins Gefängnis gesteckt hat?

Ich glaube allein 40 Prozent der freigekauften Häftlinge wurden in den Osten entlassen. Vielleicht gab es ja Quoten. Und es ist auch nicht schlecht durchdacht. Man behält jemanden und bekommt trotzdem Geld für ihn.

War es bei Ihnen eine bewusste Entscheidung, in der DDR zu bleiben?

Als ich im Gefängnis saß, wurde meine Frau gefragt, ob sie möchte, dass ich zu ihr zurückkomme. Wir waren ja eine glückliche Familie mit zwei kleinen Kindern. Da hat sie natürlich gesagt, dass sie das möchte. Ich war nun nicht ins Gefängnis gekommen, weil ich versucht habe zu fliehen. Bei mir gab es also kein Fluchtmotiv. Und dann hatte ich von anderen Häftlingen erfahren, dass einem die Antwort auf die Frage, ob man in den Osten oder in den Westen entlassen werden möchte, bei der entsprechenden falschen Antwort ganz schnell ein weiteres Jahr Bautzen einbringen konnte. Also habe ich bei diesem Gespräch im Gefängis gesagt, dass ich selbstverständlich zurück zu meiner Familie will. Mir wurde aber auch vorher mitgeteilt, dass meine Frau den gleichen Wunsch geäußert hat. Ich wurde in diesem Gespräch nicht ein einziges Mal gefragt, ob ich in den Westen will.

War das für Sie überhaupt keine Alternative?

Ich bin mir sicher, wenn ich gefragt worden wäre, ob ich in den Westen will, hätte ich gesagt, dass ich zu meiner Familie will. Selbst wenn ich nicht gewusst hätte, wie sich meine Frau entschieden hat. Ich wollte im Osten leben und weiter meine große Klappe haben und die Bücher lesen, die ich lesen will. Also genau die Dinge, für die ich ins Gefängnis gekommen bin.

Überrascht Sie dieses heutige Interesse an solchen Geschichen aus der DDR?

Interesse? Ich glaube nicht, dass da ein wirkliches Interesse vorhanden ist. Das ist jetzt wie eine Kampagne, die durch alle Medien geht. 20 Jahre lang hat niemand darüber gesprochen. Jetzt aber läuft das im Fernsehen, gibt es Bücher. Das echte Interesse ist nicht mehr da. Bei mir auch nicht.

Wie bitte?

Meine Hoffnung besteht darin, dass wir das jetzt bald alles abschließen und die Aufarbeitung dann einer späteren Generation überlassen. Denn wir sind noch viel zu nah dran. Wir haben ja noch ständig Feinberührung, sprich Täter und Verfolgte können immer wieder aufeinandertreffen. Da können wir gar nicht objektiv sein. Die Aktenlage ist so hervorragend, darum können sich später die Historiker besser kümmern.

Aber trotz des fehlenden Interesses ist es Ihnen weiterhin wichtig, über diese Erfahrungen zu reden?

Ja, aber immer nur, wenn ich einen Bezug zum Heute herstellen kann. Einfach nur eine Geschichte aus der Vergangenheit zu erzählen, daran habe ich kein Interesse. Das zeigt sich sehr gut an der von mir mitorganisierten Aktion „Potsdamer MauerVerLauf“ am 13. August. Wir erinnern an die Mauer, aber im Anschluss gibt es immer ein Konzert, ein Fest. Diese ewigen Kranzabwurfrituale, dieses ständige Nachtreten, dafür bin ich nicht zu haben.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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