Kultur: „Dieses Kapitel ist abgeschlossen“
Jeanette Niebelschütz zieht sich vom Brandenburgischen Kunstverein Potsdam zurück
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Jeanette Niebelschütz zieht sich vom Brandenburgischen Kunstverein Potsdam zurück Sie gehört zu den streitbaren Kulturmacherinnen Potsdams. Durch ihre unerschrockene Radikalität hat sie sich nicht nur Freunde gemacht. „Doch das gehört zum Leben dazu.“ Jeanette Niebelschütz ist eine Kämpfernatur. Doch irgendwann schwinden auch bei den Stärksten die Energien, muss man einfach eine Spur langsamer fahren. Zum Jahresende gibt Jeanette Niebelschütz ihren Vorsitz beim Brandenburgischen Kunstverein Potsdam auf, auch als Sprecherin des Forums Bildende Kunst zieht sie sich zurück. „Vor allem das ständige ,Gejachte“ nach dem Geld hat mich aufgerieben, aber ebenso der Kleingeist in dieser Stadt. Ich fühle mich einfach ausgebrannt. Nicht zu Unrecht hält meine Tochter mir entgegen: Du bist immer nur gehetzt.“ Jetzt will sie eine Pause einlegen, am liebsten auf eine Mutter-Kind-Kur fahren und sich auch Zeit für den einjährigen Enkel nehmen. Nach einer Zeit der Besinnung wird sie mit Sicherheit in die Kulturszene zurückkehren, „aber in einem neuen Kontext, mit neuen Leuten und mit neuen Herausforderungen.“ Wohin sie ihr Sprung ins kalte Wasser treiben wird, möchte sie noch nicht preis geben, obwohl sie mit ihrem Mann Ottmar Kaufmann schon an ersten Ideen bastelt. Sie weiß, dass auf dem Gebiet der Kultur die Arbeit nicht auf der Straße liegt. „Wir müssen aus uns selber schöpfen.“ Wenn am 19. November der neue Vorstand gewählt wird, kann sie auf eine bewegte, durchaus auch erfolgreiche Zeit zurückblicken. Sie gehörte vor zwölf Jahren neben Christoph Tannert und Friedrich Meschede zu den Gründungsmitgliedern des Kunstvereins. Mit provokanten Ausstellungen wie die „Fontanelle“ oder Martin Kippenberger im Persiusspeicher sorgten sie von Beginn an für eine Polarisierung der öffentlichen Meinung. „Potsdam erwies sich als absolute Provinz, als wir diese Spitzenprojekte präsentierten“, erinnert sich Jeanette Niebelschütz an die „Prügel“, die sie einstecken mussten. Doch es sei von Anfang an Konzept gewesen, die aktuellen Strömungen auf dem internationalen Kunstmarkt aufzuzeigen und sich nicht den hiesigen Künstlern zu verschreiben. „Das ist nicht unser Thema.“ Sie beackerten andere Felder, beispielsweise die Berührungspunkte zwischen Kunst und Wissenschaft, „was auch nicht gerade populär ist.“ Vor acht Jahren übernahm Jeanette Niebelschütz schließlich den Vereinsvorsitz. „Ich hatte damals von Tuten und Blasen keine Ahnung, stürzte mich aber mit Herzblut in die Sache. Anfangs organisierten wir alles von zu Hause aus, bis wir 1998 in der Maschinenhalle in der Schiffbauergasse Räume erhielten.“ Mit 14 Künstlern aus Santa Fe, die vier Wochen vor Ort arbeiteten, gelang ihnen ein spektakulärer Auftakt. „Einige dieser Künstler stellten später auf der ,documenta“ aus.“ Ursprünglich sei es geplant gewesen, dass die Tänzer der fabrik und der Kunstverein sich die Maschinenhalle teilen sollten, so die Vorsitzende. „Doch die fabrik expandierte sehr schnell, und wir hatten keine Chance, dagegen zu halten, zumal wir damals noch nicht so aufgestellt waren.“ Es fehlte an Infrastruktur und es gab auch keine ABM, alles basierte auf eigenes Engagement. „Dennoch hatten wir die Hoffnung, auf dem Platz bleiben zu können, auch die Vision einer Kunsthalle in diesem Areal schwebte in unseren Köpfen. Doch dann mussten wir die Räume räumen und der fabrik das Feld überlassen.“ Jeanette Niebelschütz schwang sich wie gewohnt auf ihr Rad und fahndete nach Alternativen. Schließlich machte sie das freistehende Luisenforum ausfindig. „Der Konsens mit dem Eigentümer: Wir bespielen die leerstehenden Räume, bis sich ein Mieter gefunden hat. Nur für die 5000 Euro Betriebskosten im Jahr müssen wir aufkommen.“ Inzwischen agiert der Verein dort in seinem dritten Jahr, und schwärmt von den tollen Flächen. „2002 gelang es uns dann auch, dank des Arbeitsamtes, vier junge Leute auf ABM-Basis zu bekommen. Ich fand es schon enorm, was sich dieses Land leistet, zumal auch die Arbeitsplätze mit der entsprechenden Computertechnik voll bezahlt wurden.“ Als diese Stellen nach einem Jahr ausliefen, ging Jeanette Niebelschütz wieder in die Spur und erfuhr von den „55 Plus“-Maßnahmen des Arbeitsamtes. „Dadurch erhielten wir drei Klasse-Frauen, alle 60 Jahre und mit großer Kompetenz: ein Glücksgriff. Bis 2006 stehen sie uns zur Verfügung.“ Noch eine weitere Freudenbotschaft ereilte den Verein: Er erhielt in diesem Jahr von der Bundeskulturstiftung 40 000 Euro für sein bürgerliches Engagement, „ein Fond, für den man empfohlen wird und über den eine Jury entscheidet. Das erste Mal erhalten wir zudem von der Stadt Betriebskostenzuschüsse. Auch das ehrt uns.“ Alles Gründe, eigentlich weiter zu machen. Doch Jeanette Niebelschütz wehrt kategorisch ab. „Wenn es am Schönsten ist, soll man bekanntlich aufhören. Ich möchte nicht immer für alles in der Verantwortung stehen und es ist auch nicht gut, wenn ein Verein so personifiziert wird.“ Außerdem stoße sie in der Politik immer wieder auf die Denkweise: „Die Freien werden es schon machen. Dafür bin ich mir auf Dauer zu schade. Irgendwann ist Feierabend.“ Wenn am 26. November zum großen Vereinsfest geladen und auf das 12-jährige Bestehen angestoßen wird – „das zehnjährige haben wir irgendwie verpasst“ – ist das für die Vorsitzende fast wie ein Ausstand. Sie wird mit einem lachenden und weinenden Auge das Glas erheben. „Doch die Befreiung überwiegt. Das Kapitel Kunstverein ist für mich abgeschlossen.“ Heidi Jäger
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