Kultur: Dieses miese Gefühl
Der Neid und seine Gefühlsverwandten werden noch bis heute am Einstein Forum betrachtet
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Der Neid ereilt Rüdiger Zill vom Einstein Forum täglich im Regionalexpress nach Potsdam, wenn er von seiner Berliner Wohnung zur Arbeit fährt. Er wird ihm aufgedrängt. Denn irgendwann auf der Fahrt, meist um Grunewald herum, gewinnen bestimmte Gespräche an Dynamik, sagt Zill. Etwa dann, wenn sich zwei Männer über ihre Jobs unterhalten und sich einer von ihnen lautstark darüber mokiert, dass nicht er, sondern ein junger Neuling für eine hohen Posten in der Firma auserkoren wurde. Obwohl „der keine Ahnung hat“. Es müssen solche Erfahrungen sein, die Zill auf die Idee der dreitägigen internationalen Tagung „Evil Eyes. On Envy“ gebracht haben, die heute im Einstein Forum endet.
Seit drei Jahren hat das Denker-Forum in seinen Forschungen die Leidenschaften des Menschen im Blick, zwei Tagungen zur Rationalität von Gefühlen und zum Mitleid gab es schon. Nun der Neid. Jenes Gefühl des Unbehagens über das Glück oder den Erfolg eines Mitmenschen. Doch der Neid hat auch prominente Freunde. Etwa den griechischen Geschichtsschreiber Herodot, der einst sagte: „Besser beneidet als bedauert.“
Das neidische Gefühl wird im Einstein Forum in zwei Ausprägungen behandelt: Einmal ist die Frage nach einer spezifischen Neidkultur in Deutschland wesentlich für die Tagung. Zum anderen aber auch die persönlichen Erfahrungen mit dem Neid, der von der katholische Kirche als eine von sieben Todsünden bezeichnet wird.
So überfiel der Neid die frühere taz-Chefredakteurin und heutige Spiegel-Journalistin Elke Schmitter zum ersten Mal als kleines Kind beim Anblick der schwarzen Lackschuhe ihrer Cousine, wie sie in ihrem einführenden Erfahrungsbericht am Donnerstag Abend erzählt. Die Autorin kam aus einfachen Verhältnissen, ihre Cousine dagegen aus einer wohlhabenden Familie, die zum ersten Mal Elke Schmitters Zuhause besuchte. „Als sie aus dem Auto stieg damals“, so erinnert sich Schmitter, „da sah sie aus wie eine Prinzessin, sie wirkte wie eine Erscheinung.“ Das Erstaunen wich einige Minuten später purem Neid auf die Schuhe – weil Elke Schmitters Brüder der Cousine „den Hof machten, sie sogar über den Zaun hoben, damit sie sich nicht schmutzig macht.“
Die kleine Schwester erlebte damals das Verhalten ihrer Brüder plötzlich so ganz anders, befremdend. Sie sagt noch heute, dass die Jungen ihre Prinzipien verrieten und sie auf einmal nicht mehr beachteten. „Ich fühlte mich als ungenügende Erscheinung – und wollte deshalb unbedingt auch solche teuren Lackschuhe.“ Elke Schmitter erzählt die erlebte Demütigung sehr genau, denn dieses „miese Gefühl von Neid will Details“.
Doch ist nicht dieser Neid auf ein paar Schuhe eher die Eifersucht, nicht von den Brüdern wahrgenommen zu werden? Rüdiger Zill nennt weitere Wörter, die mit dem Neid in Zusammenhang stehen. Mitgefühl als der Gegensatz, jedoch die Rivalität als ein Ausdruck des Neids, Missgunst, Empörung und Hass als mögliche Folgen. Als eine der Maschinen für Neid hat Zill in Deutschland die BILD-Zeitung ausgemacht. Etwa bei der Berichterstattung über Politikerpensionen. Der Neid, so Zill, ist demnach – anders als die Liebe etwa, die den Menschen auch einfach so überfallen kann – immer begründet und auf ein Ziel gerichtet: Auf Markenschuhe als Jugendlicher, auf mehr Rente im Alter.
Der Neid als ein Übel der Menschheit? Nicht unbedingt. In der Wirtschaft etwa wird er als Motor der Konkurrenz, als Katalysator für neue Ideen gesehen, um besser als die restlichen Unternehmen am Markt zu sein. Und nicht umsonst wird auch das Elektronikunternehmen Samsung für seine Handys mit dem Werbespruch „Neid garantiert“ werben. Denn, so analysiert Elke Schmitter, kann Neid auch in positive Gefühle umgesetzt werden – in Schwärmerei oder Bewunderung beispielsweise.
Beneidenswert also auch die Menschen, die die Zeit haben und Honorar dafür bekommen, sich über solche Fragen drei Tage lang Gedanken machen zu können, bei Wein und leckeren Käsecrackern, in entspannter Atmosphäre. So entstehen große Gedanken.
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