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Kultur: Diva im falschen Pelz

Bach bis Bernstein: Angelika Milster singt Klassik und Musical

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Bach bis Bernstein: Angelika Milster singt Klassik und Musical Von Gerold Paul Wer so bekannt ist wie Angelika Milster und zudem mit Fortuna im Bunde, muss sich weder um Erfolg noch um das Image sorgen. Die vieltalentierte Sängerin und Schauspielerin, in Neustrelitz geboren, aber in Hamburg aufgewachsen, ist auf fast allen Musik- und Theaterbühnen Europas zu Hause. Man kennt sie als Musical-Darstellerin, aus Film und Fernsehen, von Schallplatte und CD. Außerdem absolviert sie sehr umfangreiche Tourneeprogramme: 41 Konzerttermine in Deutschland stehen vom September bis April 04 in ihrem Kalender, 24 davon nehmen sich unter dem treffenden Titel „Von Bach bis Bernstein“ bis zum 22. Dezember religiöser Themen an. Die „Bauer - Milster GbR“, welches die Künstlerin zusammen mit ihrem Gatten André Bauer betreibt, vermarktet es höchst ultimativ als „Das Kirchenprogramm“, was manche gar sakrosankt aufzufassen scheinen. Es enthält ein großes Allerlei an Rang und Namen: Als Introitus von Händel „Dank sei dir, Herr“, gefolgt von Bach’s „Air“ und Brahms’ Wiegenlied, dann Rusticelli, Tosti und César Franck – bis Mozart’s „Ave verum“ und Bizet’s „Agnus Dei“ den „klassischen“ Part zur Pause hin abschließen. Der Musikverein an St. Nikolai stellte diese im Stil kommerzieller Radiosender konzipierte Melange letzten Freitag Am Alten Markt vor. Das Gestühl war wohlgefüllt, die Kirche höchst dezent beleuchtet, vor dem Altar die Solistin in Schwarz. Damit es so richtig festlich werde, begleitete der Memminger Jürgen Grimm, gelegentlich etwas schleppend, sämtliche Stücke des fast zweistündigen Abends auf der Orgel. Angelika Milster''s Stimme, zwischen Mezzo und Sopran, ist unbedingt kantabel und überall sicher. Sie hat auffallend helle Färbung, ein fast beängstigendes Volumen, jede Menge Kraft und einige Tönung, ganz verschiedene Stimmungen auszudrücken, je nachdem, was die Sängerin gerade so fühlt. Damit kann sie Chansons, Musical-Titel, Lieder, gewiss auch jazzigen Formen eigenen Ausdruck verleihen. Auch Presley, ABBA und Queen hat sie gesungen. Nur die spirituelle Strahlung, Ehrensache im kirchenmusikalischen Repertoire, kam bei diesem Konzert kaum zur Geltung. Milster kann zwar spielend vom Piano ins Forte wechseln, vom hellsten Sopran in den etwas herben Alt, und trotzdem klang es, mit allem Verlaub, von Händel und Bellini bis zu Bizet, irgendwie zum Verwechseln ähnlich, als ob eigene Lesart über die von jedem Komponisten festgemachten Ausdruck trotzen wollte. Dafür tremolierte sie fast alles, das sind so Eigenarten. Was gefühlt werden sollte, musste denn fühlen, wer da wollte, in der Vielfalt des Pathos kennt sich die strohblonde Sängerin ja bestens aus. Die Pause zeigte sie unwillig („Ich bin sensibel“), weil Gäste sich über die technisch-akustische Einrichtung des Abends beklagt hatten. Auch die tüchtige Geschäftsfrau: Fanartikel jeder Art, Poster, T-Shirts, silberne Bilderrahmen, Tassen und Schlüsselanhänger mit ihrem Konterfei waren neben eigenen CD’s wohlfeil. Dann war es mit der Klassik zu Ende, der populärere Teil begann, darin sie sich, weil oft gesungen, offensichtlich wohler fühlte. Bernstein, wie es der Titel versprach, war mit „Somewhere“ vertreten, Webber mit „Unsettled Scores“. Jürgen Grimm spielte, in den Allegro-Passagen etwas hastig, die G-Dur Toccata von Théodor Dubois als Intermezzo auf der Orgel solo. Nicht schlecht. Erwartungsgemäß begann danach das zeitgenössisch-musicalische Sentiment: Levay/Kunzes „Gold von den Sternen“ kitschig, im ostentativ-hymnischen Gestus Stephan Adams „Jerusalem“, wo der „Schatten eines Kreuzes auf einem Berg erstand“, endend mit einem Hosianna, zum Heulen: Auch das Musical gibt sich längst „theologisch“ die Ehre. Alles ist Markt. Das Finale war dem gemeinsamen Absingen populärer Weihnachtslieder christlichen Inhalts gewidmet. Wenn auch nicht alle einstimmten, so rieselte doch alle Jahre wieder leise der Schnee, klangen süßer die Glocken, bis war der Mond nun aufgegangen: Ob der Nächstenliebe legte sie zwischen „deinen kranken Nachbarn“ und dem gehauchten „auch“ eine wirkungsvolle Kunstpause ein. Heino wäre blass geworden. Mit ausgebreiteten Armen, den Schwarzpelzenen an, bildete sie direkt vor dem Altar effektvoll ein Kreuz, beeilte sich aber, das gute Stück unecht zu nennen: „Für mich darf kein Tier sterben!“ Das galt – es wurde ja aller gedacht – den Tierfreunden. Hoffentlich lebt sie auch vegetarisch. Inszenierte Sentimentalität für Jedermann steuerte also den Abend sicher zu rauschenden Ovationen im Stehen. Musical-Seligkeit am Altar von St. Nikolai, je nach Facon, das sind wohl die Wege Fortunas. Fröhliche Weihnachten denn!

Gerold Paul

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