Von Heidi Jäger: „Doch, ich habe Angst!“
Das Hans Otto Theater brachte die panische Heldengeschichte „Angstmän“ lebensprall auf die Bühne
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Auch in diese anheimelnd-frohgestimmte „Villa Kunterbunt“ schleichen sich die schwarzen Schatten der Angst. Obwohl Jennifer beim Fußball das 2:1 schoss und sich stark fühlt wie Pippi, kommt im Dunkel der Nacht das Schlottern. Leise Geräusche blähen sich zu monstermäßig auf, bei den Grusel-Bildern im Fernsehen zieht sich die Fußballheldin des Tages die Decke bis über den Kopf. Jennifer hat Angst vor dem Alleinsein. Doch noch kann sie nicht benennen, warum.
Erst im Verlauf der Geschichte vom „Angstmän“, die gestern in der Reithalle eine schwung- und fantasievolle Premiere am Hans Otto Theater erlebte, entblättern sich die Ursachen dieser Angst. Der Vater hat die Familie verlassen. Die Mutter ist mal wieder auf Nachtschicht. Kommt sie gesund wieder? Hat sie mich noch lieb? Fragen, die im Untergrund schlummern, und so schwer zu ergründen sind. Jennifer trotzt ihren Gefühlen mit Wut und tut all’ das, was die Mutter ihr verboten hat. Sie springt mit Straßenschuhen auf dem Sofa herum, hängt das peinliche Bild ihrer Einschulung ab und und stellt alle elektrischen Geräte auf volle Pulle – bis die Sicherung durchknallt. Die tröstenden Worten der Mutter auf dem Anrufbeantworter, dass sie doch schon groß sei und keine Angst zu haben braucht, verhallen ungehört. Jennifer schreit ihnen aufgelöst entgegen: „Doch, ich habe Angst!“ Man fühlt förmlich ihre seelische Not.
In der panischen Heldengeschichte von Hartmut El Kurdi, die in den Regiehänden von Aurelina Bücher klangvolle Töne anschlägt und auch die eigene Angst herauskitzelt, hat die Furcht viele Gesichter. Sie kommt als intergalaktisches Wesen in Jennifers geerdete Welt gebeamt. Und das gleich in zweifacher Ausführung: mit dem zitternden Angstmän aus dem Kleiderschrank und dem hinterlistigen Großprotz Pöbelman durch die für den Pizzaboten geöffnete Tür.
Es ist ein durchaus ernsthaftes Spiel um Schein und Sein, das in dieser Inszenierung für Kinder ab acht Jahren zwischen aktionsreicher Unterhaltung und nachdenklichem Innehalten die Balance hält. Denn was die mit Teleportern hereingewehten „Helden“ unter ihren knallig-glitzernden Kostümen verpackt halten, ist eine schwere Ladung.
Es geht um Mobbing in der Schule – theatralisch „versponnen“, doch durchaus von handfester Realität. Denn wenn Pöbelman die couragierte Jennifer, die sich beschützend vor Angstmän stellt, auf dem Folterstuhl fesselt, schlägt auch das Herz der Zuschauer bis zum Hals. Keiner lacht, wenn der ungeschlachte Grobian zur Säge greift und schließlich Jennifers nackte Fußsohlen mit einem Schminkpinsel kitzelt und das Lachen sich fast ins Weinen verkehrt. Ist es zu viel, was den Kindern hier zugemutet wird? Es hat einen kurzen Moment den Anschein. Und doch ist die wirkliche Situation an den Schulen wohl mitunter viel härter. Ja, sie hatten auch Angst, geben Besucherkinder nach der Vorstellung zu und spielen fröhlich den Pöbelman nach, der sich mannhaft wie Batman aufbaut.
Die Zuschauer wissen inzwischen, dass der coole Peiniger Pöbelman unter seiner dicken Fettschicht selbst Ängste verbirgt. Ja, dass er einst derjenige war, der gehänselt und getreten wurde und als der größte Schisshase galt. Bis er durch Zufall auf einen Lehrer fiel und ihn unter seinem Gewicht fast erdrückte. Auf einmal machten alle um „Fettwanst“ einen Bogen, keiner beschimpfte ihn mehr oder traute sich an ihn heran. Auf einmal sagten alle: „Oh Mann, ist der fies“ und nicht mehr: „Oh Mann, ist der fett“. Und dann kam eines Tages Angstmän an die Schule, genauso schwach wie einst Pöbelman. Der beste Fußabtreter für die eigenen miesen Gefühle.
David Kramer, Josip Culjak und allen voran die mit Intensität powernde und auch die Ängste so glaubhaft spielende Lisa Guth entfachen ein Theatervormittag, der mitreißt und in seiner Melange aus Witz und Ernsthaftigkeit überzeugt. Zwar wird diese Spannung nicht immer gehalten, zerfasert der Dialog zwischen Angstmän und Jennifer ein wenig. Doch schnell findet die Aufführung in dem farbenfrohen, rundgeformten Bühnenbild-Mobiliar von Sabine Kassebaum wieder zu ihrer Dramatik und dem beherzten Zusammenspiel zurück. Es wird gerappt und gesungen, gepost und geprahlt und doch immer die eigene Unsicherheit im Schlepptau mitgezogen.
Die Angst wird bis zum Ende durchgespielt und löst sich dabei allmählich auf. Gibt es eine Welt, in der man dick oder dünn, ängstlich oder stark, klug oder verträumt sein darf und dafür nicht gehänselt wird? Muss man dazu auf einen Planeten ohne Ecken und Kanten fliehen?
Das Stück „Angstmän“ des in Jordanien geborenen Autors verharmlost nichts und macht dennoch Mut. Es zeigt, dass ungeahnte Kräfte wachsen, wenn sich die Ängstlichen zusammentun und dass sich hinter der Bosheit auch böse Verletzungen verstecken können.
Am heutigen Freitag sowie am 7., 8. und 9. März, jeweils um 10 Uhr, in der Reithalle des Hans Otto Theaters, Schiffbauergasse
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