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Kultur: „Dokumentarist im Sozialismus“

Zum heutigen 90. Geburtstag des Kleinmachnower Dokumentarfilmers Karl Gass

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Keiner hat so viele Filme zu DDR-Zeiten gedreht wie Regisseur und Autor Karl Gass. Sein Lebenswerk umfasst rund 120 Arbeiten: Reportagen, Porträts und historische Dokumentationen. Gass war Mitte der 50er Jahre Mitbegründer der internationalen Leipziger Dokumentarfilmwoche , wo jüngere Kollegen - wie etwa Winfried Junge („Die Kinder von Golzow“) - bis heute ihre Filme vorstellen. Der in Kleinmachnow bei Berlin lebende Senior unter den ostdeutschen Filmdokumentaristen wird am heutigen Freitag 90 Jahre alt.

Nach der deutschen Wiedervereinigung und der Abwicklung der DEFA- Filmstudios im Osten hat sich Gass von der Filmarbeit verabschiedet.

Er verlegte sich aufs Schreiben. Sein Lieblingsthema schon über Jahre heißt Preußen. Der Hobbyhistoriker hat sich dafür eine ganze Bibliothek zugelegt. Seine erste Publikation galt der Potsdamer Garnisonkirche, und der Titel lässt die Richtung erkennen: „Preußische Schatten über Weimar“. Dass er sich mit seiner etwas anderen Preußen-Sicht Feinde schafft, sieht er gelassen. Er habe nur beschlossen, gegen die nach der Wende aufkommende „Preußenschwärmerei“ anzuschreiben, sagt er im dpa-Gespräch.

Obwohl der Filmemacher seinen Nachlass inzwischen dem Filmmuseum in Potsdam übergab, versichert er: „Meine Memoiren schreibe ich noch.“ Zeit dafür bleibe genügend. „Ich werde 100 Jahre. Das habe ich meiner Frau versprochen.“

Die Anfang der 60er Jahre begonnenen Arbeiteralltags-Porträts vor Ort, darunter „Feierabend“ sowie die mehrteilige Serie „Asse“, gehören zu seinen besten Arbeiten. Für die „Entdeckung neuer Wesenszüge der Arbeiterklasse“ offiziell zwar hoch dekoriert, geriet Gass dennoch hinter den Kulissen in die Kritik von SED-Dogmatikern. Die ungeschminkten Reden der Arbeiter missfielen. Dem ständigen „Hick Hack“ versuchte er sich mit der Hinwendung zu geschichtlichen Themen zu entziehen. „Ich war kein Feind der DDR. Ich war ihr Kritiker“, wird er in einem nach der Wende entstandenen Film über sich sagen. „Das Jahr 1945“ (1985) über die letzten 128 Tage des Zweiten Weltkriegs sahen schon im ersten Jahr nach der Premiere über zwei Millionen Zuschauer. Gass nahm es auf sich, darin das im Osten gängige Propaganda-Klischee von der Befreiung allein durch die siegreiche Sowjetarmee mit Aufnahmen von allen Kriegsschauplätzen der Alliierten richtig zu stellen. Ein Schuldbekenntnis der KPD am Krieg wurde von der Zensur allerdings in letzter Minute rausgeschnitten.

Sein letzter Film „Nationalität: deutsch“ wurde wenige Monate nach dem Mauerfall uraufgeführt. Berichtet wird über das Leben eines Dorfschullehrers, der zwischen Weimarer Republik und DDR in drei gesellschaftlichen Systemen unbeschadet sein Fähnlein nach dem Wind hängte.

Kritikern im Westen galt Gass gleich hinter Karl Eduard von Schnitzler als „Chefpropagandist“ des Kommunismus. Maßgeblich für dieses Urteil war vor allem sein Mauerfilm „Schaut auf diese Stadt“ (1962) über die Notwendigkeit des „antifaschistischen Schutzwalls“.

Geboren in Mannheim, hatte Gass seine journalistische Arbeit nach Kriegsende beim Kölner Rundfunk begonnen. Als er wegen seiner KPD- Mitgliedschaft Schwierigkeiten bekam, entschied er sich wie Schnitzler für Ost-Berlin, weil dort nach seiner Meinung das „bessere Deutschland“ aufgebaut wurde. Auch wenn das Experiment vom Arbeiter- und Bauern-Staat gründlich misslang, die „Idee vom Sozialismus“ will der streitbare Regisseur nicht aufgeben. „Ich finde die Gesellschaft, in der wir heute leben, katastrophal“, sagt er. Irma Weinreich

Irma Weinreich

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