Am Sonntag werden die Kerzen für immer ausgepustet. Nicht jedem dürfte dieses Finale behagen, auch wenn es durch die Grafiken von Heike Isenmann märchenhaft verzaubert und durch den musikalischen Abgesang am heutigen Freitag versüßt wird.
Doch das Lapis Lazuli reißt ein Loch in die ohnehin dünn gesäte Caféhaus-Landschaft von Potsdams Mitte. Gern drängte man sich um die zehn schweren Holztische mit den tiefen Spuren des Lebens und der gefräßigen Holzwürmer, die Füße ausgestreckt auf den Singer-Nähmaschinen-„Trittchen“. Bei hausgemachter Limonade oder dem legendären heißkalten Affogato mit frisch gebrühtem Espresso über Vanilleeis ließ es sich trefflich plaudern, auch wenn man mitunter Mühe hatte, dem Nachbarn akustisch paroli zu bieten. Dafür fühlte sich niemand einsam im Wirrwarr sich kreuzender Dialoge. Nicht Perfektion war das Rezept der kleinen Crew um Christiane Baerens, sondern Herzenswärme und ein Lächeln für jeden neuen Gast. Auf abblätterndem ockerfarbenem Putz und sich lösender Tapete „kittete“ Kunst aller Couleur den morbiden Charme. Rucksacktouristen genossen das anheimelnde Flair auf ausgetretenen Dielen ebenso wie Potsdamer Urgesteine oder geschniegelte Banker.
In abendlichen Stoßzeiten konnten schon mal die Weingläser knapp, das Bier zu kalt, die Aushilfskellner überfordert sein. Dafür erntete niemand einen schiefen Blick, wenn er das dritte Glas Leitungswasser zum Rotwein bestellte. In elf Jahren hat Christiane Baerens das Lapis von einem zarten Keimling zu einer fruchttragenden Pflanze wachsen lassen. „Ich habe es immer schön gehegt und gepflegt und sehr viel Energie hineingesteckt“, schrieb sie in ihrem „Nachruf“ in der Speisekarte. Da sie spürte, dass es nicht mehr schöner werden konnte, entschied sie sich, das Lapis zu schließen, „bevor die Pflanze welkt“.
In Potsdam West zieht sie mit dem „Quendel“ bereits eine neue Pflanze heran, nunmehr auf neuem Weg „in der unendlichen Vielfalt des Kochens“. Heike Isenmanns leise tönenden Metamorphosen auf Geschenkpapier sind wie ein letzter liebevoller Gruß auf diesem Pfad der Veränderung mit dem wehmütigen Schmerz des Verlustes.
Die frisch zubereitete Fischsuppe mit Kokosmilch und Ingwer ist wie ein kleiner Vorgeschmack auf das Leben danach, wenn aus dem Lapis ein Thai-Restaurant wird: mit Duftreis statt „Latte“.
Heidi Jäger
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