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Kultur: Dunkle Stellen der Geschichte

Die Argentinier Pablo Parra und Federico Lamas auf dem Filmfestival „Sehsüchte“

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Am Anfang steht ein Fleck in Anas Bett. Rot und klebrig auf dem weißen Bettlaken. Maria, mit der Ana das Zimmer in dem katholischen Internat teilt, nähert sich fassungslos. Langsam tastet sie nach der Matraze. Wo kam der Fleck her? Und wo ist Ana? Der argentinische Filmemacher Pablo Parra zeigt mit dem Film „El Secreto de la Sangre“ die dunklen Seiten der argentinischen Geschichte. Mit fahlen Bildern und der Ästhetik eines Horrorfilms. Gestern wurde der Film auf dem „Sehsüchte“-Festival gezeigt. Er war Teil des Programms, mit dem sich das Festival dieses Jahr den Andenländern und der lateinamerikanischen Filmkultur nähert.

„Meine Mutter war auf einem solchen Internat“, erläutert Pablo Parra im Gespräch mit den PNN. Bis in die fünfziger und sechziger Jahre seien solche Internate in Argentinien weit verbreitet gewesen. Der Film thematisiere eine Erfahrung, die viele Frauen gemacht haben. Tatsächlich machen die Mädchen in dem Film gemeinsame Erfahrungen. Wenn sie den strengen Augen der Nonnen entkommen können, rauchen sie heimlich eine Zigarette. Doch mit dem Eintritt der Menstruation ändert sich alles. Für die Nonnen ist Ana krank. Ihre Krankheit ist ihr Erwachsenwerden. In dem Film ist Weiblichkeit eine Krankheit, die in beschämtes Schweigen gehüllt wird. Entsprechend reagieren die Schwestern. Nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenzimmer gilt für Ana eine strenge Bettruhe. Zum Trost erhält sie ein Geschenk: einen Beutel mit Nähzeug.

Pablo Parra und sein Landsmann Federico Lamas, beide wegen des diesjährigen Schwerpunktthemas in Potsdam, sehen den lateinamerikanischen Film im Umbruch. „Es gibt hier zwei Tendenzen“, sagt Experimantalfilmer Federico Lamas. Einerseits seien die sozialen und politischen Probleme der Region ein Thema. Dazu gehöre auch das Bestreben, das Verschwiegene und Unterdrückte aufzuarbeiten. Andererseits hätten Filmemacher den Mut zu Experimenten gefunden. Eine neue Generation lege auf künstlerische Selbstverwirklichung mehr Wert, als auf Vergangenheitsbewältigung. Dies gilt sicherlich für Federico Lamas, der seit dem Ende seine Studiums in Buenos Aires in einer Werbeagentur arbeitet. So könnten die beiden gastierenden Filmemacher kaum unterschiedlicher sein. Der besonnene Parra möchte Geschichten erzählen. Der energische Federico Lamas strebt radikal nach Innovationen. Ihn interessieren nur formale und technische Neuerungen.

Lamas hat für das Festival einen seiner vielen Kurzfilme ausgewählt. Er ist Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann in Personalunion. Ein Vorteil der neuen digitalen Filmtechnik. In der Manier eines Videoclips zeigt sein Film „Roger“ den Streit zwischen einem Pärchen. Dabei wird deutlich, wie sehr sich die Zeiten in Argentinien gewandelt haben: Hier ist es die Frau, die über ihr Schicksal bestimmt. Während sie ihres Weges geht, versucht der Mann in wilder Hatz sie einzuholen. Auf weißen Zettelchen werden seine Gedanken eingeblendet: „Sie begeistert mich. Sie bewegt mich.“ Doch seine Reue kommt zu spät. Sie ist weg.

So zeigte der „Fokus Anden“ des Festivals, wie viel Bewegung in den lateinamerikanischen Film gekommen ist. Und die beiden Filmemacher aus Buenos Aires haben noch viel vor. Beide haben gerade ihr Studium beendet. Das Festival in Babelsberg sei für sie eine ergiebige Quelle für Kontakte. Auch ändere sich die Perspektive auf das eigene Werk, sagen sie einhellig. Aber die Talente der beiden Gäste beschränken sich nicht auf das Filmen. Zu dem Festival gehört ein Fußballmatch unter den eingeladenen Filmemachern. Die Argentinier waren unverzichtbar. Pablo Parra hat fünf Tore geschossen.

Mark Minnes

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