zum Hauptinhalt
Zwischen Celan und fünf Kindern. Michael Gerlinger lebt die Gelassenheit.

© A. Klaer

Kultur: Düster und erhellend

Michael Gerlinger wohnt seit zwei Jahren in Potsdam. Morgen stellt sich der Schauspieler in der Kirche Hermannswerder mit einem Paul-Celan-Abend vor

Stand:

Für das Foto wechselt er die sportliche Indoorjacke gegen das schwarze Jackett, seine Arbeitsgarderobe. Morgen wird Michael Gerlinger den salopp-feinen Zwirn überstreifen, um sich in der Inselkirche Hermannswerder auf „Spurensuche“ zu begeben. Spuren, die der Dichter Paul Celan hinterließ und die wie wilde Träume aufschrecken. „Träume, die nicht zu fassen sind, aber das Herz bis zum Hals schlagen lassen“, sagt der Schauspieler mit dem schmal geschnitten Gesicht und den eindringlichen Augen. Schon vor Jahren sprang ihn das Gedicht „Chanson einer Dame im Schatten“ an und entfesselte eine dauerhafte Liebe zu dem Dichter, der sich 1970 das Leben nahm. „Wenn die Schweigsame kommt und die Tulpen köpft“, zitiert Gerlinger aus dem Stegreif mit eindringlich-sonorer Stimme und fährt sich dabei mit den Händen durch die gepflegt geschnittenen grauen Locken.

Es wird ein ganz neuer Celan-Abend, mit dem sich Michael Gerlinger in seiner vor zwei Jahren auserkorenen Wahlheimat Potsdam vorstellt. In seinem Debüt gab eine Cellistin mit klaren Tönen den verwirrenden „Sprachgittern“ noch einen gewissen Halt. In Potsdam steht ihm nun der Gitarrist Stefan Groß zur Seite, der mutiger und verstörender das surreale Geheimnis der Lyrik heraufbeschwört. „Man muss den Dichter, der zugleich düster und erhellend ist, nicht verstehen, sondern einfach seine Sprache auf sich wirken lassen. Erst im Nachhall kommt das Verständnis. Es ist wie bei einem Bild von Dali. Es sieht toll aus, aber es gibt nicht alles preis.“ An dem imaginären Bild Celans wird auf Hermannswerder die Bühnenbildnerin Anita Fuchs mit malen und den sakralen Raum in Lichtstimmungen tauchen. „Allerdings findet sie erst drei Stunden vor der Premiere Zeit zum Ausleuchten. Es wird alles knirsch, aber in dem Beruf ist man immer mit dem Scheitern verbrüdert.“

Michael Gerlinger nimmt das inzwischen gelassen. Schlaflose Nächte gehören längst der Vergangenheit an. Als er einmal vier Wochen ohne Arbeit war, plagte er sich völlig umsonst mit Existenzängsten herum. Als der erlösende Anruf kam, und ihm eine Rolle in „Reinecke Fuchs“ angeboten wurde, war er geradezu ausgelaugt. „Dabei hatte ich damals erst ein Kind und wäre besser mit ihm auf dem Spielplatz toben gegangen, als düsteren Gedanken nachzuhängen“, sagt der inzwischen fünffache Vater, der das Kopfkino der Angst abgeschaltet hat und sich heute immer wieder sagt: „Nutze den Tag“.

Die Zeit, dass er ganz entspannt auf Lohnsteuerkarte arbeiten konnte, war relativ kurz und auf drei Jahre am Meininger Stadttheater beschränkt, was der gebürtige Konstanzer nicht als Nachteil sieht. Kunst hat für ihn immer auch etwas mit dem sich ständig neu erfinden zu tun. Das begann gleich nach seiner Ausbildung an der Stage School of Music, Dance and Drama in Hamburg, wo er seinen „krummem Körper zu bewegen lernte“ und auf die Innerlichkeit des Spiels und Gesangs eines Stanislawskis eingeschworen wurde. Er arbeitete danach frei, entwickelte ein Programm „An die Deutschen“, das von Walter von der Vogelweide bis zu den Einstürzenden Neubauten reichte, oder fuhr mit der „Göttlichen Komödie“ des Thalia Theaters bis nach Bogota und Seoul auf Festivals. Immer wieder übernahm er Rollen auf Kampnagel und gehörte mit zur Truppe des einstigen Chefs Res Bosshart, der als Intendant in Meiningen die Stadt auf neue ästhetische Wege führen wollte und dafür böse abgestraft wurde. In voller Zahl kam das Publikum nur noch dann, wenn es galt, den Intendanten zu beschimpfen. Nach seinem Rausschmiss verließ auch Michael Gerlinger ein Jahr später das Haus, suchte sich eine Band und zog als Sänger mit einem Rio Reiser-Programm durchs Land. Vor allem aber mit seiner Late Night Show, in der er moderierte, politisierte und sang, erreichte er Zuschauer und Kritiker, die dem „ Harald Schmidt von Südthüringen“ bescheinigten, dass er nicht witzig, sondern auch lokal sei. Für einen Zugereisten vom Bodensee wohl nicht unbedingt selbstverständlich. Auch als „Alleinunterhalter“ ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen, als drei Stunden vor Showbeginn die Technik streikte. Der Katholik griff zu Bibel und Kontaktanzeigen und improvisierte. „Ich glaube, es war die beste Show.“

Nach fünf Jahren langte es ihm in der Provinz, fehlte ihm der Input. Also zog er mit Frau, vier Kindern, Hund und Katze in einem Campingwagen ins „Himmelreich“ Caputh und fand rechtzeitig vor Schulbeginn in Potsdam-West eine Wohnung.

Dort bereitet er sich nun auf seinen Celan-Abend vor, während die Kleinste mit ihrem Bobby-Car gegen die Wand fährt, die Große ruft, dass sie Vokabeln lernen muss, zwei sich streiten und die fünfte für ihre Zeichnung gelobt werden will.

Vielleicht möchte Michael Gerlinger deshalb künftig auch an Schulen gehen und dort „chorisches Sprechen“ anbieten?! Heidi Jäger

Premiere morgen 20 Uhr, Inselkirche Hermannswerder. Eintritt 13/ erm. 9 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })