zum Hauptinhalt

Kultur: Düsteres aus der Provinz

Andreas Kleinerts Film „Freischwimmer“ feierte im Thalia Vorpremiere / Hauptdarsteller und Regisseur dabei

Stand:

Großes Kino in Babelsberg. Nur wenige Tage nach dem Ende des studentischen „Sehsüchte“-Festivals kehrte wieder Premieren-Atmosphäre in das Thalia Kino ein. Das heißt: Unzählige Fotografen laufen im Foyer auf und ab, begrüßen sich, tauschen Informationen aus. Vor der Tür späht eine Presseagentin auf die Rudolf-Breitscheid-Straße. „Fünf Minuten noch“, heißt es schließlich. Ein Kameramann schaltet sein grelles Licht ein, der Moderator lächelt hinter dem orangefarbenen Mikro.

Als Andreas Kleinert mit drei Schauspielern aus seinem neuen Film „Freischwimmer“ das Atrium des Kinos betritt, wirkt er selbst zunächst etwas benommen. Kleinert, ein selbstbewusster aber ruhiger Mensch, braucht sichtlich einen Augenblick, um sich auf den Andrang der Fotografen einzustellen. Zusammen mit den Schauspielern August Diehl, Jürgen Tarrach und Alice Dwyer ist Kleinert zu der Vorpremiere seines neuen Films nach Potsdam gekommen. Vorpremiere: Denn wer ins Thalia gekommen war, bekam den Film „Freischwimmer“ noch vor dem Berliner Premierenpublikum zu sehen.

Nach einem kurzen Moment ist Kleinert aber wieder ganz der Profi. So gelingt es dem Absolventen der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) mühelos, vor Filmplakaten für die Fotografen zu posieren und dabei gleichzeitig mit alten Bekannten zu plaudern. Schauspieler August Diehl, hingegen, scheint das Lächeln im Gesicht festgefroren zu sein. Das hoch gehandelte Talent spielt in „Freischwimmer“ eine der beiden Hauptrollen. Und fast scheint es eine Verbindung zwischen dem dubiosen Deutschlehrer Martin Wegner im Film und dem jungenhaft, ja lakonisch lächelnden Diehl zu geben: Er ist gekleidet wie ein aufstrebender Schüler, weißes Hemd über der Hose, das schwarze Sakko wirkt zu groß. Und doch hat der schmächtige Mann eine unheimliche Präsenz, die er auch seiner Filmfigur verleiht. Ebenso wie die brünette Alice Dwyer, die sich im Film in eine kindische und verführerische Blondine verwandelt. Sie setzt bei der Vorpremiere im Thalia mit einem engen Nadelstreifenkostüm einen Kontrast zu ihrer Rolle, der begehrten Schülerin Regine. Doch es ist ähnlich wie bei Diehl: ihr eindringlicher Blick ist derselbe wie im Film.

„Der Film ist ein böses Märchen, eine schwarze Tragikomödie“, sagte Andreas Kleinert den PNN am Rande der Vorpremiere. Gleichzeitig habe er dem Film eine surreale Atmosphäre verleihen wollen. Es sei kein Zufall, dass die kleinstädtischen Geschehnisse von „Freischwimmer“ um das fiktive „Kafka-Gymnasium“ rotieren. „Es geht um einen Außenseiter, der von allen verspottet wird. Das schönste Mädchen der Schule würdigt ihn keines Blickes.“ Aber am Ende, warb Kleinert für den Film, würde die Blondine um die Gunst des schwerhörigen Rico nur so betteln. Rico habe dann das getan, was er in unserer Gesellschaft tun müsse, um Erfolg zu haben, so die düstere Botschaft des Regisseurs.

„Hinter der normalen Fassade der Kleinstadt brodelt es“, fügte Jürgen Tarrach hinzu. Tarrach verkörpert in dem Film den Schulleiter Quitter, der trotz seines jovialen Äußeren den Kontrolldrang eines Zuhälters hat und dazu auch noch passionierter Jäger ist. Tarrach habe sich bei „Freischwimmer“ an die Doppelbödigkeit älterer französischer Krimis erinnert gefühlt. Das habe ihn gereizt, sagte er in Babelsberg.

Andreas Kleinert hat den Ruf, sich gerne abgründigen Themen zuzuwenden. Er gilt zusammen mit Andreas Dresen als einer der innovativsten deutschen Regisseure der Gegenwart. Kleinert, der an der Hochschule für Film und Fernsehen eine Professur für Spielfilmregie innehat, ist Potsdam in vielerlei Hinsicht verbunden. So habe er schon Anfang der 80er Jahre bei der DEFA gearbeitet, sagte er dem Potsdamer Publikum: im Möbelfundus. Später wurde er Regieassistent und machte sich nach seinem Studium an der HFF mit Kino- und Fernsehfilmen einen Namen. Kleinert war bereits auf den Filmfestivals in Cannes und, mit „Freischwimmer“, in Venedig vertreten. Aber an seiner Verbundenheit zu Potsdam ändert der internationale Erfolg nichts. Dafür sei die Potsdamer Vorpremiere ein Zeichen, sagte Kleinert.

Und Parallelen zwischen seiner düsteren Provinzvision und der frühlingshaften Residenzstadt Potsdam wollte er schon gar nicht ziehen. „Ich finde Potsdam nicht provinziell“, so der gebürtige Berliner. „Für mich ist Potsdam eine Großstadt.“

Mark Minnes

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })