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Geballte Kraft. Campus Cantabile und Sinfonietta Potsdam, Chor und Orchester der Universität Potsdam, im Nikolaisaal.

©  Peter Idler

Kultur: Effekthascherisch

Chor und Orchester der Uni Potsdam mit Verdis „Requiem“ im Nikolaisaal

Stand:

Jeder Amateurchor, der auf sich hält und glaubt, ihren enormen Anforderungen gerecht werden zu können, nähert sich früher oder später auch Giuseppe Verdis ergreifender „Messa da Requiem“. Doch wann sie aufführen? Passenderweise in der Karfreitagswoche oder im totengedenkenden November? Oder zu x-beliebiger Zeit, wenn die sängerischen und instrumentalen Ressourcen zur Verfügung stehen? Für letztere Möglichkeit entschied sich Kristian Commichau, Dirigierprofessor an der Universität Potsdam, als er die Totenmesse am Montag – mit Wiederholung tags darauf – im Nikolaisaal aufführte. Neben Chor und Orchester der Universität, also Campus Cantabile und Sinfonietta Potsdam, hat er zur Verstärkung seine Berliner „vocal-concertisten“ und Bläser des Landespolizeiorchesters Brandenburg engagiert. Insgesamt ein imposantes Aufgebot für Verdis Bitte um ewige Ruhe, Errettung vor dem Tode, wenn die Tage des Schreckens in Gestalt des Jüngsten Gerichts nahen.

Klanggewaltig, geradezu reißerisch werden sie in der „Dies irae“-Sequenz ausgelotet. Wo Verdi nur nach Fortissimo verlangt, erzeugt der Dirigent ein Mehrfaches davon. Mit diesem Aufgebot aller nur denkbaren Klangmittel ist es ihm ein Leichtes, ein effektvolles mitreißendes Kolossalgemälde in Klang zu malen. Die scharfen Schläge des vollen Orchesters, chromatisch wogende Aufschreie der hundertköpfigen Chorgemeinschaft gehen bis an die Schmerzgrenze, sorgen dabei für regelrechte Vulkaneruptionen. Es geht furchterregend, dennoch kultiviert zu. Die stimmlichen Qualitäten der studentischen und sonstigen Laiensänger sind außer jeglichen Zweifels. Schließlich können sie auch Leises. Stimmweich und fast tonlos deklamieren („Requiem aeternam“), die Stimmen fahl einfärben, federnd und geschmeidig die „Sanctus“-Fuge anstimmen – kurzum, sie bieten Klasse trotz Masse.

Wer als erstmaliger „Requiem“-Hörer allerdings darauf vertraut, er bekäme in jedem Fall Verdis vorgeschriebene Besetzungen einzelner Nummern aus dessen Hommage an den verstorbenen Dichterfreund Alessandro Manzoni zu hören, ist – so er nicht das Programm studiert hat – vielfach hinters Licht geführt, was ihm auch noch als „Besonderheit unserer Fassung“ angepriesen wird. Angeblich habe der Komponist das „Liber scriptus“ ursprünglich für Chor geschrieben, doch weil der einst unzulänglich tönte, hätte er die Sentenz in eine Arie für Mezzo umgeschrieben. Die wird uns vorenthalten, dafür bringen die kammerchorisch besetzten „vocal-concertisten“ aus Originalitätssucht die von Verdi sicherlich aus guten Gründen verworfene Urgestalt zu Gehör. Unverständlicherweise übernimmt der Kammerchor auch Passagen aus den opernnahen Arien der Solisten. Zur Begründung wird angeführt, dass die Sänger immer wieder gegen das große Orchester ansingen müssten, was klanglich unbefriedigend sei. Hört sich so Werktreue an?

Den fern jeder Anmutung von Italianità geprägten preußisch-sachlichen Intentionen des Dirigenten folgen die Solisten. Gefühlserwärmend und gestaltungsschlicht, aber dennoch sehr intensiv singt Mezzosopranistin Regina Jacobi ihren Part. Höhenscharf, glanzlos, ohne Wärme trotzt Johanna Krumin den Sopranstrapazen. Differenziert, lyrisch und mit kraftstrahlender Höhe meistert Michael Zabanoff seine Tenoraufgaben, während Bariton Matthias Vieweg der Basspartie einiges an Tiefe und Durchschlagskraft schuldig bleibt, am meisten unter den feindlichen Chorübernahmen leidet. Opernähnliche Beifallsstürme. Peter Buske

Peter Buske

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