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Kultur: Effektvolles Theater

Unidram: Das Odin-Prinzip

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Nur das Ende ist Verzweiflung. Der Wikinger-Gott wird in die leuchtende Kiste vor ihm gestopft. „Ich bin doch Odin, ich habe das doch alles selbst gemacht“, klagt die bärtige Puppe mit dem einen Auge. Gerade zerfällt seine Welt: Die Midgard-Schlange hat in ihren letzten Atemzügen seinen Sohn Thor erlegt. Sein anderer Sohn Heimdall und sein Widersacher und einstiger Freund, der Riese Loki, töten sich gegenseitig. Und Odin: Er wird vom Fenriswolf gefressen, dann symbolisch in die Kiste gesteckt. Weltenbrand. Ragnarök, der Schicksalstag vom Ende der nordischen Götterwelt, vom Niedergang der so genannten Asen. Nur zwei Menschen überleben für die Gegenwart – und das Publikum spendet langen Applaus für das von Regisseur Markus Joss entworfene „Odin-Prinzip“. In den 100 Minuten zuvor ist es den Darstellerinnen Stephanie Rinke und Susanne Olbrich, fulminant gelungen, ihre Version der germanischen Mythologie dem Publikum beim Unidram-Festival ins Herz zu spielen. Die Vorstellung war ein gelungenes Beispiel, wie ein ernster und historisch durch das Nazi-Regime instrumentalisierter Stoff wie die nordische Mehrgötter-Religion spritzig und ironisch ins Jetzt gerettet werden kann. Die Darstellerinnen schaffen es mit variablen Stimmen und rund einen halben Meter großen Handpuppen, den Göttern nur allzu menschelnde Züge zu verleihen: Odin als kiffender Gottvater, der die Menschen für sich kämpfen lässt. Oder der Riese Loki, der vor allem säuft, stänkert und laut ist: Loki, der einzige Riese unter den Asen-Göttern wie Odin oder Thor. Eigentlich eine Ehre. Doch insgeheim sinnt er auf Rache, dafür, dass sein Riesengeschlecht einst von den Asen bezwungen wurde. Am Ende ist aber auch seine Rache nur ein Phyrrussieg: Die alte Welt existiert nicht mehr.

Doch bis zum Ragnarök sind auch Lokis Götter-Kollegen vor allem eins: Menschenpuppen, die auf der Bühne zusammen Joints rauchen, Alkohol vernichten und sich gern prügeln und darüber lachen. Unterstützt werden sie dabei von Max Bauer, der jedem Tapsen, Rülpsen und Hieben den entsprechenden Ton gibt – etwa mit dem vom Mikrofon verstärkten Geräusch geschüttelter Kieselsteine, einem einfachen Schlag auf den Tisch oder eben einem vulgären Rülpser. So minimalistisch-effektvoll kann Theater sein.

Und die Aussage? Schon in den Urzeiten streiten sich Götter und Riesen darum, wer das bessere Geschlecht, die bessere Rasse ist. Und am Ende stirbt alles, selbst das schillernde Geschlecht der Asen: Nur bezeichnend, dass die von den Göttern erschaffene Vernunft im Straßengraben verreckt. Doch musste sich Regisseur Markus Joss solche Vergleiche hin zur Gegenwart nicht ausdenken, sie stehen alle in den alten Sagen - Joss’ Verdienst ist es, mit dem „Odin-Prinzip“ den tieferen Sinn mit beißender Satire zu verkleiden. Henri Kramer

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