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Kultur: Ein angenehmes Plätschern

6. Schlössernacht zum Thema „Wasser als Seele des Gartens“ / Vorabend mit Orchester aus London

Stand:

6. Schlössernacht zum Thema „Wasser als Seele des Gartens“ / Vorabend mit Orchester aus London Schaulust gegen Hörgenuss - bei einem Freiluft-Konzert geht das Ringen meist zugunsten des visuellen Vergnügens aus. Mit akustischen Beeinträchtigungen durch Wind und Wetter, Technik und Nebengeräusche muss gerechnet werden. Doch das stört die Beliebtheit solcher Veranstaltungen nicht, wie beim Konzert des Royal Philharmonic Orchestra in Sanssouci wieder einmal deutlich wurde. Nahezu 5 000 Menschen erfreuten sich am opulenten Spektakel, das erstmals zum Auftakt der Potsdamer Schlössernacht stattfand. Zwischen Neuem Palais und Communs war eine dunkle, höhlenartige Bühne aufgebaut. Angedeutete hellenische Säulen und ein Tempeldach sollten dem Ort wohl zusätzlich Weihe verleihen, doch wurde das dahinterliegende Triumphtor verdeckt. An dieser optisch reizvollen Stelle waren auch schon gläserne Bühnen zum Einsatz gekommen. Doch sonst wurde die umgebende Architektur bei Einbruch der Dunkelheit ins rechte Licht gesetzt: Golden glänzten die Grazien auf den Dächern der Communs, prächtiger als bei Tage leuchtete die Fassade des Neuen Palais. Das Royal Philharmonic Orchestra London und der Dirigent des Abends, der Amerikaner Leonard Slatkin, hatten ein attraktives Programm mit Klassik-Highlights des 19. Jahrhunderts zusammengestellt. Da konnte nicht viel schiefgehen. Allerdings können im folgenden mehr die Leistung der Lautsprecher als die des Orchesters besprochen werden. Felix Mendelssohn-Bartholdys Jugend-Ouvertüre „Die Hebriden“ litt erheblich unter schlechter Aussteuerung, die Bässe wummerten und die Geigen schepperten erbärmlich. Doch das sollte sich ändern. Das Violinkonzert von Peter Tschaikowski klang schon viel ausgewogener, wenn auch recht flach und wenig differenziert in den orchestralen Abschnitten. Aber mit dem 24-jährigen Geigenderwisch David Garrett stand der richtige Mann am rechten Ort. Der glückliche Spieler einer fantastisch klingenden Stradivari von 1724 besaß Stil, Technik und Bühnenpräsenz genug, um das Publikum mitzureißen. Den bekannten Kantilenen setzte Garrett überraschende, quasi neonfarbene Glanzlichter auf, meißelte kantige, prägnante Akkorde wie ein Rockmusiker, spielte derb wie ein Tanzgeiger auf dem Jahrmarkt, dann wieder mit breitem Strich und butterweichem Sehnssuchtston. Wie elektrisch aufgeladen wirkte die Kadenz mit ihren Glissandi-Achterbahnen, akrobatischen Doppelgriffen und frappierenden Lagenwechseln á lá Paganini. Ohne sich groß um klassische Konventionen zu scheren, injizierte der Deutschamerikaner dem Tschaikowski-Violin-Konzert einen vitalen Schuss bunter Popart, was gut dazu passte. Zum Abschluss erklang noch ein Bonbon, dem wohl kaum eine Übertragungsart substanziell etwas anhaben kann. Die Symphonie Nr. 3, Eroica, von Ludwig van Beethoven, zumindest in den letzten beiden Sätzen (und in den vorderen Sitzreihen) erklang unter Leonard Slatkin sehr gut strukturiert, apart phrasiert und rhythmisch exzellent durchgearbeitet. Wenn auch der erste und der zweite Satz noch unter einer sehr plakativ-effektreichen Wiedergabe gelitten hatten – etwa bei den fortissimo-Schlägen der Streicher und den einförmigen Bässen – , so erfreuten die Holzbläser und die Hörner, sogar im gefürchteten Trio des 3. Satzes, mit vielen gelungenen Einsätzen. Wie sich aus der Fuge des vierten Satzes ein duftiger Tanz entwickelte, wie das Finale-Presto fast unmerklich aus dem Stand losjagte - das hatte Finesse und Eleganz. Ein insgesamt sehr erfreuliches Konzert mit dem Royal Philharmonic Orchestra, das man gern einmal mit einem Dach über dem Kopf hören würde - dem Hörgenuss zuliebe. * * * Im Dunkeln durch den Park Sanssouci bei der Schlössernacht zu wandeln, hat viel von einem Traum. Kleine Lampen erleuchten die Wege, die Statuen sind hell angestrahlt, aber das Scheinwerferlicht vermischt Helles und Dunkles zu bizarren Gestalten. Die Springbrunnen schäumen in dieser Nacht in Neongrün. Wie Kulissen tauchen Schlösser, Tempel und Treppen aus dem kinodunklen Park auf. Über einer der weitläufigen, von Bäumen umsäumten Wiese schwebt ein riesiger, weißer, künstlicher Mond wie auf einem surrealistischen Gemälde. Da wundert es einen nicht, dass Bäume plötzlich sprechen können, sogar mit breitem amerikanischen Akzent: „Ich bin die sanfte Sumphzypresse“, tönt es aus einem riesigen Baum. „Ich bin die Speise aus den Wäldern, Fagus selvatica“, säuselt eine weibliche Stimme von einer uralten Buche herab. Jedes Mal bleiben die Menschen stehen und lauschen. Die Nacht stand unter dem Motto „Wasser“ – und da nun einmal 32 000 Menschen auf einem Fleck friedlich flanierten, wollte auch der gute alte Petrus dabei sein. Er hatte das Motto sehr wörtlich genommen und schickte immer mal wieder einen Regenschauer herunter. Klassische Gitarrenklänge mischten sich in die Stimme der Sumpfzypresse vor den Römischen Bädern, wo der junge Gitarrist Oskar Nowakowski ein bunt gemischtes Musik-Potpourri spielte. Als plötzlich eine Tenorstimme irgendwo her vom Maschinenteich erklang, blieben viele stehen. Auf einer Gondel, naja, einem Bootchen, stehend, erschien der Sänger Christian Voigt im Rokokokostüm und warb mit einem Ständchen um die Gunst der vor ihm sitzenden Dame. Erwartungsvoll sahen die Zuschauer auf das Boot, das aber sofort wieder umkehrte und im Laubenkanal verschwand. Doch die südlich warme Stimme mit den schönen italienischen Liedern war noch lange zu hören - leider im play back. Am Schloss Charlottenhof spielte das Duo „Rare Roses“ mit Cécile Blumenbär (Flöte) und Chris Rowson (Digital Cembalo) allerliebste, zierliche Rokokowerke und konkurrierte mit dem heftigen Plätschern der Fontäne. Um Konkurrenz, Tricks und Zaubereien der Frauen ging es im Hippodrom, wo die Schauspielerinnen Gundi Anna Schick und Nicol Yvonne Wolf aus den „Hetärengesprächen“ des römischen Dichters Lukian vorlasen. Trotz Nässe von oben blieben viele stehen, um sich an den lebensklugen Unterhaltungen zwischen Mutter und Tochter zu ergötzen. Zunehmend drängten die Menschen ins Trockene, vor dem Neuen Palais bildeten sich längere Schlangen. Doch dann hatte Petrus ein Einsehen. Als das Schlössernacht-Orchester dem Störenfried trotzte und beherzt den „Sommer“ aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ spielte, gab er auf. Auch der dritte Satz aus Ludwig van Beethovens „Pastorale“ und ein Intermezzo aus George Bizets „Carmen“ verbreiteten sommerliches Ambiente. Babette Kaiserkern * * * Einmal im Jahr, zur Schlössernacht, wandelt sich der Platz am Fuße der Terrassen der Orangerie zur beschaulichen Piazza und die Maulbeerallee zum Corso, auf dem Flaneure sehen und gesehen werden. Tische sind herausgestellt, man speist, trinkt, schwatzt, flirtet. Von der gläsernen Bühne klingen barocke Concerti: Das Ensemble Concerto Grosso spielt Musik von Galuppi, Sarti, Cimarosa, belauscht von illustren Gesellschaften, die wie Trauben in den Terrassen „hängen“. Es könnte so schön sein, irgendwie aber will jenes leichte Gefühl, das uns nach Süden sehnen lässt, nicht aufkommen. Zu viele Menschen, die zu schnellen Schrittes vorbeiziehen und in der Masse einen grummelnden Grundton erzeugen, der jedes Flirren erstickt und die auf alten Instrumenten intonierte Musik mit einem grauen Rauschen überzieht. Bariton Martin Backhaus singt tapfer dagegen an. Und jene Zuhörer, die gewillt sind, seinen Arien konzentriert zu folgen, spenden anerkennend Beifall. Schon aber schiebt die Menge weiter. Schwerer Duft von Bratwurst und Bier wabert über der Szenerie, in der man so gern Thymian und Lavendel gerochen hätte. Oben vor der Orangerie wird die Luft klarer, die Stimmung romantischer. Brunnen plätschern in blauem Licht, Verliebte posieren unter Palmen. Im Säulenhof treiben Colombina, Pantalone, Arlecchino und Capitano ein amouröses Verwirrspiel. Das Berliner Ensemble Celeste Sirene zeigt im Stile der Commedia del''arte eine Kostprobe aus ihrem Stück „Colombina trionfata“, die Geschichte einer durchtriebenen Dienstmagd, die des Geldes wegen ihren griesgrämigen, geizigen Herren aus der Reserve locken und zur Heirat bewegen will, um insgeheim mit ihrem Geliebten ein sorgloses Leben führen zu können. Ob sie am Ende triumphiert? Wer es wissen will, kann das ganze Stück am 20. September während der „Klangbilder“ in der Gemäldegalerie im Berliner Kulturforum sehen. Einer, der wie kein anderer von der Raffinesse schöner Frauen zu berichten weiß, ist Giacomo Casanova. Auch er schwadroniert in dieser Nacht durch den Säulenhof der Orangerie und erzählt, wie ihn einst in London die aufreizende Marie Charpillon an den Rand der Verzweiflung trieb. Nicht für Geld und gute Worte hatte sie sich ihm hingeben wollen. Mirko Böttcher vom Potsdamer Poetenpack spielt den schwer leidenden Verführer, dem die Verweigerung der jungen Kurtisane grausam das eigene Altern vor Augen führte. Nun, er war gerade 38. Heute längst kein Alter, um nicht verführerisch zu sein. Schon gar nicht als Frau. Ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt, auf der Jazzbühne am Botaniktor, wickelt Tina Tandler ihr Publikum um den Finger. Sie tut das gewöhnlich mit dem Saxophon, an diesem Abend aber auch mit lasziv gesungenen Bluesballaden und einer verjazzten Version der weltflüchtigen Schnulze vom Luftballon, mit dem es sich fortfliegen lässt „in das Land der Illusion“. Dort bereits angekommen sind die nächtlichen Besucher des Paradiesgartens. Zur Musik Benjamin Brittens erzählt der Berliner Figuren-Zirkel „Titanias Traum“, die Geschichte von Oberon und Titania, König und Königin der Elfen. Die kreisrunde Schattenwand, hinter der die bizarren Figuren agieren, öffnet den Blick, wie durch ein Fernrohr, in die mystische Feen- und Zauberwelt aus Shakespeares „Sommernachtstraum“. Mitten hinein plätschert plötzlich ganz realer Regen, mischt sich in das elektronische Tropfen der Klanginstallation an den rot und blau illuminierten Kaskaden. Die mit Schirm und Petroleumlampen ausgestatten Nachtwanderer lassen sich davon aber nicht aus dem Paradies(-garten) vertreiben, sondern lauschen in aller Regenruhe den Garten-Gedichten von Rilke, Eichendorff und von Hofmannsthal, die die Schauspielerinnen Katrin Aebischer und Birgit Reibel aus dem geschützten Innern des Atriums heraus rezitieren. Romantische Poesie, die den Garten als Lebensquell und Sinnesfreude beschreibt, so, wie einst der Sizilianische Garten Friedrich Wilhelm IV. die Sehnsucht nach dem geliebten Italien stillen konnte. Inmitten der südlichen Gewächse, die von hundert Leuchten ins rechte Licht gesetzt sind, erzählt Claus Stahnke von der süßen Lust des Königs, dem Park von Sanssouci mit Lorbeer, Oleander und Zitronen italienisches Flair zu verleihen, auch wenn die empfindlichen Luxusgeschöpfe in nordischer Kühle immer leicht kränkliche Fremdlinge blieben. Der Manie des Monarchen verdankt Sanssouci auch die im italienischen Stil erbaute Friedenskirche, in der auch kurz vor Mitternacht zur Orgelmeditation mit Christian Hartmut Grosch gerufen wird. Hier Platz findend, beginnen die geplagten Füße zu summen und die Musik durchströmt den Körper. Kein Laut dringt von außen ein. Ruhe. Endlich. Antje Horn-Conrad

Babette Kaiserkern

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